Maschinerie
A: al-’ālāt. – E: machinery. – F: machinisme. – R: mašiny. – S: maquinaria. – C: jīqì 机器
Kaan Kangal
HKWM 9/I, 2018, Spalten 1-14
Der von Marx in K I ausgearbeitete Begriff fasst M als »gegliedertes Maschinensystem« (23/401), »technische Einheit« (400) der »Kooperation gleichartiger« oder »Kombination verschiedenartiger« und einander ergänzender »Arbeitsmaschinen« (401), die ihren »Impuls« vom »Herzschlag des gemeinsamen ersten Motors« mittels eines »Transmissionsmechanismus« empfangen (400). Ihre Anwendung, »das moderne Fabriksystem« (442), ergibt »das ökonomische Paradoxon, dass das gewaltigste Mittel zur Verkürzung der Arbeitszeit in das unfehlbarste Mittel umschlägt, alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Familie in disponible Arbeitszeit für die Verwertung des Kapitals zu verwandeln« (430). Möglich wird dies, weil M die »Leistungsfähigkeit des Werkzeugs« von »den persönlichen Schranken menschlicher Arbeitskraft [emanzipiert]« (442). Indem mit »dem Arbeitswerkzeug auch die Virtuosität in seiner Führung« – sowie die dafür erforderliche Muskelkraft – »vom Arbeiter auf die Maschine« übergeht (ebd.), produziert M »teils durch Einstellung dem Kapital früher unzugänglicher Schichten der Arbeiterklasse« (430) – »jugendliche Arbeiter (unter 18 Jahren), Weiber und Kinder [bilden] das weit vorwiegende Element des Fabrikpersonals« (473) –, »teils durch Freisetzung der von der Maschine verdrängten Arbeiter, eine überflüssige Arbeiterpopulation« (430).
An die Stelle der »Hierarchie der spezialisierten Arbeiter« des Manufakturbetriebs tritt in der großen Industrie »die Tendenz der Gleichmachung oder Nivellierung der Arbeiten, welche die Gehilfen der M zu verrichten haben« (442), was auch als Tendenz zur allgemeinen Dequalifikation deutbar ist und dazu zwingt, aus Marx’ Erkenntnissen über M die trag- und zukunftsfähigen herauszupräparieren. Denn mit der M erhält »das Arbeitsmittel eine materielle Existenzweise, welche Ersetzung der Menschenkraft durch Naturkräfte und erfahrungsmäßiger Routine durch bewusste Anwendung der Naturwissenschaft bedingt« (407). Dies wirft die Frage auf, ob und wie letztere mit der weiteren Entwicklung der M in den Arbeitsalltag als notwendige Qualifikation der Arbeitenden eindringt.
Dem Problem, dass der Unterschied zwischen M und Maschine im Sprachgebrauch seiner Zeit verschwimmt, begegnet Marx, indem er die Maschine als »einfaches Element der maschinenmäßigen Produktion« (396) fasst, mit dem eine Reihe von Entwicklungsschritten beginnt, die in einen »Produktionsorganismus« (407), in das »gegliederte Maschinensystem der Fabrik« (416) münden. Dabei wird der »vereinzelte Arbeiter durch den vergesellschafteten« verdrängt, denn »die M […] funktioniert nur in der Hand unmittelbar vergesellschafteter oder gemeinsamer Arbeit«, sodass »der kooperative Charakter des Arbeitsprozesses […] also durch die Natur des Arbeitsmittels selbst diktierte technische Notwendigkeit [wird]« (407).
Marx wirkt einer zu einfachen Sicht auf die Entwicklung der M entgegen: »Werkzeuge […], auf die der Mensch von vornherein nur als einfache Triebkraft wirkt, wie z.B. beim Drehn der Kurbel einer Mühle […], rufen zwar zuerst die Anwendung von Tieren, Wasser, Wind als Bewegungskräften hervor. Sie recken sich, teilweise innerhalb, sporadisch schon lange vor der Manufakturperiode zu Maschinen, aber sie revolutionieren die Produktionsweise nicht.« (395) Die »industrielle Revolution im 18. Jahrhundert« geht vielmehr von der »Werkzeugmaschine oder eigentlichen Arbeitsmaschine« aus, die neben »Bewegungsmaschine« und »Transmissionsmechanismus« einer der »drei wesentlich verschiednen Teile« ist, aus denen »alle entwickelte M besteht« (393). Die Werkzeugmaschine ist ein »Mechanismus, der nach Mitteilung der entsprechenden Bewegung mit seinen Werkzeugen dieselben Operationen verrichtet, welche früher der Arbeiter mit ähnlichen Werkzeugen verrichtete« (394). Es ist schließlich die »Schöpfung der Werkzeugmaschinen, welche die revolutionierte Dampfmaschine notwendig machte« (396). Denn das »Maschinensystem« konnte »sich nicht frei entwickeln […], bevor an die Stelle der vorgefundnen Triebkräfte […] die Dampfmaschine trat« (403). Von ihr strahlen Impulse aus, die die Produktionsweise insgesamt umwälzen: sie fungiert »als allgemeiner Agent der großen Industrie« und erlaubt »die Konzentration der Produktion in Städten« (398) bzw. ist – wie der Fabrikinspektor Alexander Redgrave 1860 in einem Bericht schreibt – »die Mutter der Industriestädte« (zit.n. 398, Fn. 99).
Staatstheoretische, kulturkritische und politologische Überlegungen eines zur Weltauffassung ausgearbeiteten Maschinenbilds finden große Resonanz in der nachmarxschen Literatur, sie blenden die von Marx hervorgehobenen sozial-ökonomischen Aspekte der M jedoch weitgehend aus. Ausgehend von Marx’ sogenanntem ›Maschinenfragment‹ (Gr, 42/590-609; Virno 1990/2004, 148) wird etwa die Digitalisierung gegen Marx’ vermeintlich veraltetes Technologieverständnis ausgespielt. Dagegen ist einzuwenden, dass Marx zwar keine Vorstellung von computergesteuerten Produktionsanlagen haben konnte, aber ein Instrumentarium ausgearbeitet hat, um die Impulse zu untersuchen, die von der Entwicklung der M ausgehen und auf sie zurückwirken und dabei als »Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft« fungieren und »gleichzeitig die Bildungselemente einer neuen« Gesellschaft heranreifen lassen (23/526).
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