Kleinbauern

A: fallāḥun ṣiġār. – E: smallholders, small peasants. – F: petits paysans. – R: melkije krest’jane. – S: pequeños campesinos. – C: xiaonong 小农

Theodor Bergmann (I.), Bastiaan Wielenga, Alexis Petrioli (II.)

HKWM 7/I, 2008, Spalten 936-959

I. Die K im Kapitalismus stehen zwischen Arbeit und Kapital. Ihrer sozialökonomischen Lage nach gehören sie mehr zum Proletariat, ihrem Bewusstsein und Selbstverständnis nach fühlen sie sich eher der Bourgeoisie zugehörig. Ihre Abgrenzung von anderen dörflichen Sozialschichten ist in der Realität schwieriger als in der Theorie (vgl. Bergmann 1976 u. 1981). Abhängig vom Rhythmus der Jahreszeiten, nehmen v.a. minderbegüterte Agrarproduzenten verschiedene Positionen innerhalb der dörflichen Ökonomie ein: Der Kleinbauer ist im Frühjahr und Sommer der sein eigenes Land bestellende Parzellenbesitzer, im Winter ist er Wanderarbeiter oder im Heimgewerbe beschäftigt; nebenher kann er Handel treiben oder als Tagelöhner Nachbarn bei der Ernte helfen. Gerade im Übergang zu einer kapitalisierten Landwirtschaft bieten sich auch für Kleineigentümer Möglichkeiten, den eigenen Besitz alternativ zu nutzen. So kann ein Kleinbauer z.B. in eine Graupenmühle investieren, um dann mit einem bescheidenen Besitzeinkommen seinen auf kargem Boden zu erwirtschaftenden Lebensunterhalt etwas aufzubessern. Formell-statistisch ist Kleinbauer, wer eine Bodenfläche zwischen zwei und fünf Hektar besitzt. Engels definiert ihn als »Eigentümer […] eines Stückchens Land, nicht größer, als er mit seiner eignen Familie in der Regel bebauen kann, und nicht kleiner, als was die Familie ernährt. Dieser Kleinbauer […] ist also ein Arbeiter, der sich vom modernen Proletarier dadurch unterscheidet, dass er noch im Besitz seiner Arbeitsmittel ist; also ein Überbleibsel einer vergangnen Produktionsweise.« (Bauernfrage, 1894) Von seinen Vorfahren, führt Engels weiter aus, unterscheidet sich der Kleinbauer durch Freiheit von Feudallasten und Bodeneigentum, durch den Verlust seines Anteils an der gemeinen Mark (Auflösung der Allmenden), schließlich durch Eingliederung ins und Abhängigkeit vom kapitalistischen Marktgeschehen. »War aber die Marknutzung die eine Grundbedingung seiner Existenz, so war der industrielle Nebenbetrieb die andere. Und so sinkt der Bauer immer tiefer. Steuern, Misswachs, Erbteilungen, Prozesse treiben einen Bauer nach dem andern zum Wucherer, die Verschuldung wird immer allgemeiner und für jeden einzelnen immer tiefer – kurz, unser Kleinbauer ist wie jeder Überrest einer vergangnen Produktionsweise unrettbar dem Untergang verfallen. Er ist ein zukünftiger Proletarier.« (…)

II. K haben in den meisten Regionen der Welt keine Lobby, sei es wegen ihrer vermeintlichen Unberechenbarkeit in revolutionären Situationen oder weil sie den Weg zu erhöhter Arbeitsproduktivität durch großflächige industrialisierte Landwirtschaft blockieren. Wenn überhaupt, erscheinen sie in der Agrarpolitik meist als diejenigen, die das Feld räumen müssen. Kritische Konsumenten reagieren darauf mit der Forderung nach fairem Handel. Damit geraten diejenigen K ins Blickfeld, die für den Weltmarkt produzieren und für die faire Preise lebensnotwendig sind. Noch randständiger erscheinen Subsistenzbauern, die für den eigenen Bedarf und für lokale Märkte produzieren und in diesem beschränkten Rahmen am Schutz ihres Zugangs zu Land, Wasser, Saatgut und an billigen Krediten interessiert sind. Klein wie sie sind und ohne Mittel für teure Investitionen, stehen sie millionenfach den Agrobusiness-Giganten im Wege. Sie erscheinen in den Augen ihrer Regierungen, die cashcrops und Export-Dollars brauchen, um ihre Schulden abzahlen zu können, als ebenso nutzlos wie in denen der Energiekonzerne, die Landhunger entwickeln, etwa um Bio-Diesel zu produzieren. Solch mächtigen Interessen ist nur mit massivem Widerstand zu begegnen. Unzählige Male wurden den K minimale Überlebenschancen bescheinigt, oft genug bereits ihr faktisches Verschwinden konstatiert. Allen Todsagungen zum Trotz gibt es sie immer noch – Grund genug, ihre Rolle in Ökonomie, Politik und Theoriebildung zu überprüfen.

Agrarfrage, Agrarreform, Agrobusiness, Arbeiterstaat, Bauern, Bauernbewegung, Bodenreform, Bündnispolitik, chinesische Revolution, Dorfgemeinschaft, Enteignung, Familie, Familienarbeit/Hausarbeit, Genossenschaft, germanische Gemeinde, Grenzen des Wachstums, Grundeigentum, Grüne Revolution, häusliche Produktionsweise, indoamerikanischer Sozialismus, Klassenkampf, kleine (einfache) Warenproduktion, Kollektivierung, koloniale Produktionsweise, Kubanische Revolution, Landlosenbewegung, Latifundismus, Liuismus, Maoismus, Mexikanische Revolution, nachhaltige Entwicklung, Neue Ökonomische Politik, nichtkapitalistischer Weg, Ökologie, Ökosozialismus, Pächter, peripherer Kapitalismus, Polarisierungsthese, primäre sozialistische Akkumulation, Produktivismus, Produktivität, Proletarisierung, Raubbau, Revolutionstheorie, Russische Revolution, Schichten (soziale), Sozialrevolutionäre, Stadt/Land, Subsistenzproduktion, Volksdemokratie, Volkstümler, vorkapitalistische Produktionsweisen

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k/kleinbauern.txt · Zuletzt geändert: 2024/03/03 14:24 von christian     Nach oben
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