Kapitalmobilität, internationale
A: ḥarakiyah ‛ālamiyah lirra’smāl. – E: international mobility of capital. – F: mobilité internationale du capital. – R: meždunarodnaja mobil’nost’ kapitala. – S: movilidad internacional del capital. – C: guoji ziben liudong 国际资本流动
Klaus-Peter Kisker
HKWM 7/I, 2008, Spalten 360-374
IK heißt Bewegung von Warenkapital, Geldkapital (Portfolioinvestitionen, zinstragendes und fiktives Kapital) und Produktionskapital (Direktinvestitionen) über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Die iK ist keine neue Erscheinung, aber seit den 1980er Jahren unter dem Begriff Globalisierung zu einem der wichtigsten politischen Themen geworden. Diejenigen, die Einfluss auf die internationalen Kapitalströme haben, Produktions- und Dienstleistungsunternehmen sowie Banken, befürworten sie enthusiastisch und werden nicht müde, ihre Ausweitung zu propagieren. Die Mehrheit der abhängig Beschäftigten in den Industrieländern wie in den Peripherien sowie die in Subsistenzwirtschaften lebenden Menschen fürchten dagegen, dass zunehmende und unregulierte iK ihre jetzt schon prekäre wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert und ihre Position gegenüber dem Kapital im Klassenkampf deutlich schwächt. Befürchtet wird darüber hinaus die Erosion demokratischer Prinzipien in Wirtschaft und Gesellschaft, die Aushöhlung von Menschenrechten, eine Verschärfung der Verteilungsungerechtigkeit in und zwischen den Nationen und eine Zunahme der Umweltzerstörung (Beck 1998; Enquete-Kommission 2002).
Mit dem Begriff der Globalisierung wird suggeriert, der Kapitalismus sei mit dem Wachstum der iK in eine qualitativ neue Periode eingetreten (vgl. Beck 1998). Doch werden auch Zweifel an dieser Vorstellung formuliert: Paul Hirst und Graham Thompson (1996; 1998) belegen, dass der Anteil des Außenhandels am Bruttoinlandsprodukt vor dem Ersten Weltkrieg bereits höher lag als in den 1990er Jahren, dass internationales Kapital in den führenden Ökonomien zwischen 1905 und 1914 stark verwoben war und multinationale Konzerne auch damals bereits verbreitet waren. Zu Beginn wie am Ende des 20. Jh. sind letztere mit nur wenigen Ausnahmen eindeutig einem Heimatland zuzuordnen und nach wie vor vornehmlich in einer kleinen Anzahl von Ländern oder innerhalb eines Wirtschaftsblocks aktiv (vgl. Kisker 1999). Auch Eric Hobsbawm bestreitet die These einer neuartigen Qualität der internationalen Wirtschaftsbeziehungen; die Geschichte der Weltwirtschaft sei »seit der industriellen Revolution […] die […] eines immer schnelleren technologischen Fortschritts, eines ständigen, wenn auch ungleichen Wirtschaftswachstums und einer zunehmenden ›Globalisierung‹ – also die Geschichte einer zunehmend komplizierten und weltweiten Arbeitsteilung und eines immer dichter werdenden Netzwerks aus Güterströmen und Tauschbeziehungen, das jeden einzelnen Bereich der Weltwirtschaft zu einem globalen System verband.« (1995)
Wie die Konkurrenz »historisch als Auflösung von Zunftzwang, Regierungsmaßregelung, innren Zöllen und dergleichen innerhalb eines Landes erscheint«, so »auf dem Weltmarkt als Aufhebung von Absperrung, Prohibition oder Protektion«, die der Marx der Grundrisse noch fälschlich den »dem Kapital vorhergehenden Produktionsstufen« zuordnet (…). Mit vollem Recht jedoch wehrt sich Marx dagegen, im historischen Rückblick bewusstlos den kapitalistischen Standpunkt einzunehmen. Stattdessen gilt es zu sehen, dass, was fürs Kapital Schranke ist, »für frühere Produktionsweisen immanente Grenze war, worin sie sich naturgemäß entwickelten und bewegten. Schranken werden diese Grenzen erst, nachdem die Produktivkräfte und Verkehrsverhältnisse sich hinreichend entwickelt, damit das Kapital als solches beginnen konnte, als das regelnde Prinzip der Produktion aufzutreten. Die Grenzen, die es niederriss, waren Schranken für seine Bewegung, Entwicklung, Verwirklichung. Es hob damit keineswegs alle Grenzen auf, noch alle Schranken; sondern nur die ihm nicht entsprechenden Grenzen […]. Innerhalb seiner eignen Grenzen – sosehr sie von einem höhern Gesichtspunkt aus als Schranken der Produktion erscheinen und als solche durch seine eigne historische Entwicklung gesetzt werden – fühlt es sich frei, schrankenlos, d.h. nur durch sich selbst, nur durch seine eignen Lebensbedingungen begrenzt.« (…) Wenn Marx in der Theorie von den faktisch fortexistierenden Bewegungsbeschränkungen des Kapitals absieht, so tut er dies angesichts dessen, »dass die tiefsten ökonomischen Denker, wie Ricardo z.B., die absolute Herrschaft der freien Konkurrenz voraussetzen, um die adäquaten Gesetze des Kapitals – die zugleich als die es beherrschenden vitalen Tendenzen erscheinen – studieren und formulieren zu können« (…).
Bereits zu Beginn der kapitalistischen Entwicklung gab es technische Voraussetzungen und Regeln für den internationalen Warenaustausch. Aber erst die Durchsetzung internationaler Rechtsnormen und v.a. die Revolutionierung der internationalen Kommunikationsmittel seit dem 19. Jh., u.a. der Eisenbahn, der Dampfschifffahrt und der Telekommunikation, schufen günstige Voraussetzung für weltweiten Handel und Direktinvestitionen. Ihre Weiterentwicklung ermöglichte kalkulierbaren Waren- und Geldkapitalexport und schließlich die Internationalisierung der Produktion. Das Kapital schuf sich auf diese Weise, unterstützt durch die Regierungen, die Möglichkeiten zur Expansion auf den Weltmarkt selbst.
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