Kampflied
A: uġniyah niḍāliyah. – E: battlesong. – F: chanson de combat. – R: boevaja pesnja. – S: canción de lucha. – C: douzhengge 斗争歌
Jürgen Schebera
HKWM 7/I, 2008, Spalten 69-75
In der Weimarer Republik geprägter Begriff, der einen v.a. von Hanns Eisler (1898-1962) entwickelten neuen Typ von einstimmigem Massengesang des Proletariats kennzeichnet, welcher als Lied-Genre zum weiteren Konzept einer revolutionär orientierten ›Kampfmusik‹ gehört.
Die Anfänge des deutschen Arbeiterlieds reichen in die Mitte des 19. Jh. zurück; als sich die Arbeiterbewegung danach politisch zu organisieren begann, entstanden zahlreiche »sozialdemokratische Parteilieder« (Lammel 1970) wie auch eine ständig wachsende Arbeitersängerbewegung. »Wohl in keinem anderen europäischen Land sind in einem derartigen Umfang Arbeiterlieder auf Flugblättern, in Liederbüchern und in der Arbeiterpresse veröffentlicht worden wie in Deutschland im letzten Drittel des 19. Jh.« (…). Bis 1917 gab es kaum neue Parteilieder, was sich auch im Repertoire der Arbeiterchöre niederschlug. Dieses war zum einen beherrscht von Volkslied-Arrangements, zum anderen von der – durch zahlreiche Kompositionen des erfolgreichen Autodidakten Adolf Uthmann geprägten – Gattung des »Tendenzlieds«, das mit seinen abstrakt-pathetischen, verbalen Bekenntnissen (Empor zum Licht; Der Menschheit Erwachen; Das heilige Feuer) wie mit seiner musikalischen Gestaltung (Häufung stereotyper melodischer und harmonischer Floskeln sowie tonmalerischer Effekte) gut in die inzwischen reformistische Ideologie der Sozialdemokratie passte. So bildete sich in der Arbeiterchorbewegung ein »Liedertafelstil« heraus, eine an der bürgerlichen Musikpraxis orientierte Konzerthaltung, bei der die Notwendigkeit des Kampfes hinter pseudopolitischer Ergriffenheit verschwand. »Dies wirkte sich in der Folgezeit äußerst hemmend auf die Entwicklung und Durchsetzung eines einheitlichen Arbeitermusikstils […] in Deutschland aus.« (…)
Nach Novemberrevolution und Gründung der KPD, inspiriert vom Sieg der Oktoberrevolution in Russland, setzte ab Anfang 1919 die Weiterentwicklung des deutschen Arbeiterlieds zum politischen Massen- und zugleich »K« ein (so erstmals 1919 im Titel eines Liederbuchs der Freien Sozialistischen Jugend, ab 1921 Kommunistische Jugend Deutschlands). Am Anfang dieses Weges stand die Erschließung bedeutender internationaler Arbeiterlieder und -hymnen (z.B. Brüder zur Sonne, zur Freiheit; Bandiera Rossa; Warschawjanka) sowie russischer Revolutionslieder (z.B. Matrosen von Kronstadt; Unsterbliche Opfer), die nun erstmals in dt. Übertragungen veröffentlicht und gesungen wurden. Hinzu kamen neue deutsche »revolutionäre Arbeitervolkslieder« (Lammel 1970), die während der bewaffneten Auseinandersetzungen der ersten Weimarer Jahre spontan entstanden (Frühjahrskämpfe 1919, Niederschlagung des Kapp-Putschs 1920, Märzkämpfe 1921, Hamburger Aufstand 1923). Ab Mitte der zwanziger Jahre folgten dann, im revolutionären Sinne der KPD, Lieder für neue operative Genres wie »Rote Revuen« und die sich nach sowjetischem Vorbild formierende Bewegung der Agitproptruppen.
Ein neuer, eigenständiger musikalischer Stil war damit freilich noch nicht erreicht. Ihn zu schaffen, blieb mit der Arbeiterbewegung verbundenen Berufsmusikern vorbehalten. Bereits seit 1919 hatten sich einige Exponenten der Neuen Musik, an der Spitze der Dirigent Hermann Scherchen, als Leiter von Arbeiterchören engagiert. Auch Hanns Eisler hatte auf diese Weise 1920/21 in Wien erstmals Erfahrungen mit dem damals gängigen Repertoire solcher Chöre gesammelt, das er als völlig unbefriedigend empfand. In Berlin leistete er ab 1928 den entscheidenden Beitrag zur Herausbildung eines neuen Typs von Kampfmusik, welche die vorherrschende bürgerliche Praxis der Arbeitermusikbewegung konsequent kritisierte. Dabei ging es sowohl um die revolutionäre Erneuerung der Musik als auch um die Schaffung neuer Stücke.
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