Konjunktur, ökonomische
A: waḍ‛ iqtiṣādī. – E: economic cycle. – F: conjoncture économique. – R: ekonomičeskaja konjunktura. – S: coyuntura económica. – C: jingji zhouqi (jingji de) 经济周期(经济的)
Karl Georg Zinn
HKWM 7/II, 2010, Spalten 1483-1502
Der heute landläufige Begriff »K« bezeichnet die relativ regelmäßig (zyklisch) eintretenden wirtschaftlichen Wechsellagen der Gesamtwirtschaft. Der K-Zyklus verläuft in typischen Phasen. Somit liefert erst die Spezifizierung der jeweiligen Situation im Sinn von guter oder schlechter Konjunkturlage eine Information darüber, welche Phase der Zyklus gerade durchläuft. Der Beschreibung des K-Verlaufs dienen bestimmte Indikatoren – u.a. Volumen und Wachstumsraten von Investitionen, Produktion, Bruttoinlandsprodukt, aber auch die Entwicklung der Beschäftigung, des Preisniveaus, Ergebnisse von Umfragen bei Unternehmen und Konsumenten usw. Unterschieden wird zwischen Frühindikatoren zur Vorhersage (z.B. Auftragseingänge), Präsensindikatoren zur Erfassung der aktuellen Lage (z.B. Produktionsvolumen) sowie Spätindikatoren, die dem aktuellen K-Verlauf nachfolgen (z.B. die Beschäftigungs- und Arbeitslosenzahlen). Trotz der Vielzahl konjunkturtheoretischer Erklärungen, die seit dem 19. Jh. vorgelegt wurden, lässt sich jedoch Konvergenz in einem wesentlichen Punkt feststellen, da die große Mehrzahl der K-Theorien die gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit, also die Akkumulation als den Kernprozess der K-Bewegung begreift.
Hingegen divergieren die Ursachenerklärungen, d.h., welche Einflussfaktoren für die Investitionstätigkeit und damit für die K-Bewegung als wesentlich herausgestellt werden. Am Kriterium der ausschlaggebenden K-Ursachen orientieren sich i.d.R. die Typisierungen von Konjunkturtheorien. So wird von Gottfried Haberler (1938/1948), dem die in der Ökonomik verbreitete, wenn auch heute ergänzungsbedürftige Systematik der K-Theorien zu verdanken ist, zwischen monetären, Überproduktions-, Unterkonsum- und psychologischen Konjunkturtheorien unterschieden. Den unterschiedlichen Vorstellungen über die entscheidenden Investitions- bzw. K-Ursachen entsprechend ergeben sich auch gravierende Differenzen in den k-politischen Konzeptionen. Jedoch sei hier pauschal auf den Sachverhalt verwiesen, dass K-Politik i.e.S., also staatliche Maßnahmen zur »Konjunkturbelebung« – im Unterschied zur staatlichen »Rahmensetzung« – immer auf dem Weg staatlicher Nachfragebeeinflussung verlaufen, auch wenn gegebenenfalls synchrone Angebotseffekte damit verbunden sind. Dieser konjunkturpolitische Bias zugunsten der Nachfrage lässt sich auch schon an der vor-keynesianischen K-Politik nachweisen, wenn auch erst mit der keynesschen Theorie eine stringente theoretische Fundierung der nachfragebezogenen K-Politik verfügbar wurde. Zuvor war sie allenfalls bei einzelnen Autoren – etwa dem zum Frühsozialismus gehörenden Ludwig L. Gall (vgl. Zinn 2008) – zu finden.
Die Blütezeit der K-Theorien lag vor dem Zweiten Weltkrieg, und seit Anfang der 1950er Jahre wandte sich die bürgerliche Ökonomik mehr und mehr dem Wachstumsprozess zu. Die Diskussion versandete und damit auch die krisentheoretische Debatte außerhalb jener marxistisch oder keynesianisch orientierten wirtschaftswissenschaftlichen Minderheiten in den kapitalistischen Ländern, denen die Vorstellung eines kontinuierlichen und gar noch ›grenzenlosen‹ Wachstums suspekt geblieben war. Die damalige Wachstumsskepsis einer Minderheit von Ökonomen verwies nicht zufällig auf gewisse Affinitäten der marxschen und keynesschen Theorie, die jedoch – abgesehen von der nordamerikanischen Baran-Sweezy-Schule und den an sie mehr oder weniger anschließenden »Radicals« – erst weit später von beiden Seiten anerkannt wurden; bis dahin herrschte vielmehr eine Art Hassliebe zwischen den keynesianischen Vertretern der »nachfragetheoretischen« Krisenerklärung und den marxistischen Verfechtern der akkumulations- bzw. produktionsbezogenen Krisentheorie. Die letzten bedeutsamen konjunkturtheoretischen Arbeiten wurden Anfang der 1950er Jahre vorgelegt (vgl. die Beiträge in Weber 1967). Die hohen Wachstumsraten der ersten Nachkriegsjahrzehnte hatten die damals rhetorisch verstandene Frage provoziert: »Is the business cycle obsolete?«. Ja, lautete die Antwort der Mehrheit der Ökonomen und Politiker. Was bedurfte es da noch der K- oder gar einer allgemeineren Krisentheorie. Die für die praktische K-Politik bedeutsame K-Diagnose und -Prognose bedient sich ohnehin vorwiegend statistischer bzw. ökonometrischer Verfahren und greift faktisch nicht auf die Vorgaben der K-Theorien zurück.
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