Börse

A: burṣa. – E: stock exchange. – F: bourse. – R: birža. – S: bolsa. – C: jiaoyi suo

Michael Krätke

HKWM 2, 1995, Spalten 290-302

Marx und Engels haben in allen Tonarten gegen diesen »Mammonstempel« gewettert, wo »Millionen und aber Millionen verloren und gewonnen werden« (…) und eine wahre »Brut von Bankokraten, Finanziers, Rentiers, Maklern, Stockjobbern und Börsenwölfen« ihr Unwesen treibt (K I). Im Spiel der B erreiche die bürgerliche Gesellschaft den »Kulminationspunkt der Unsittlichkeit« (Umrisse); in diesem »Herd der äußersten Korruption« würden alle »obligaten Moralbegriffe« der bürgerlichen Gesellschaft in ihr Gegenteil verkehrt (…), »die kleinen Fische von den Haifischen und die Schafe von den Börsenwölfen verschlungen« (K III). Die Sozialisten sollten sich die »Spitzbüberei der B« zunutze machen und sie recht drastisch schildern »als Spitze des kapitalistischen Erwerbs, wo sich das Eigentum ganz direkt in Diebstahl auflöst« (…). – Was an der B vorgeht, erscheint vielen Sozialisten rätselhaft. »Niemand«, schreibt Brecht, »konnte mir die Vorgänge an der Weizenbörse hinreichend erklären. […] und da, jetzt erst, las ich Marx« (…).

Marx und Engels kannten sich in den Operationen der B gut aus. Engels war als Textilfabrikant Mitglied der Baumwollbörse in Manchester, die im Zentrum der damals weltweit führenden englischen Textilindustrie als »Thermometer für alle Schwankungen des industriellen Verkehrs« (Lage) fungierte; Marx spekulierte gelegentlich – mit wechselndem Erfolg – an der Londoner Effektenbörse (…). Man kann, so Engels, individuell durchaus Börsianer »und zu gleicher Zeit Sozialist sein und deshalb die Klasse der Börsianer hassen und verachten« (…); es komme dann darauf an, »seinen Feinden das Geld abzunehmen« (…). Marx studierte die Technik der B-Geschäfte erstmals umfassend am Beginn seiner erzwungenen Übersiedlung in die britische Hauptstadt (…). Beide fanden aber, daß die »Agiotage an der B« »theoretisch nichts Interessantes« zu bieten hat (…). Das Treiben und die Vorstellungswelt der Börsianer betrachteten sie als Gipfel der verkehrten Welt des Kapitalismus (…).

Doch suchten beide sich deutlich vom populären Geschrei gegen die B (und die ›Börsenjuden‹) abzugrenzen. Erstens ändert sie »nur die Verteilung des den Arbeitern bereits gestohlenen Mehrwerts, und wie das geschieht, kann den Arbeitern als solchen zunächst gleichgültig sein« (…). Die sozialistische Arbeiterbewegung kann und soll ohne falsches Mitleid dem Verteilungskampf zwischen den verschiedenen Fraktionen der ausbeutenden Klasse an der B zusehen (…). Zweitens geht es darum, sich die Rolle der B im »historischen Sinn« (…), d.h. im Gang der kapitalistischen Entwicklung, klarzumachen.

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