Imperialismus
A: al-’imbiryālīya. – E: imperialism. – F: impérialisme. – R: imperialism. – S: imperialismo. – C: diguozhuyi 帝国主义
Jan Otto Andersson (MC)
HKWM 6/I, 2004, Spalten 848-864
Der Term I geht zurück auf das lat. imperium, dessen Bedeutungswandel von ›Befehl‹, ›Vorschrift‹ oder ›Verordnung‹ über ›Gewalt‹ bzw. ›Herrschaft‹ darin einmündete, Gebiete zu bezeichnen, die dem ›Imperativ‹ einer universalen Macht unterworfen sind. Dem antiken Vorbild (imperium Romanum) sinngemäß folgend, verstanden sich u.a. das Reich des russischen Zaren, Großbritannien oder Frankreich unter Napoleon III. als ›Imperien‹. Gegen Ende des 19. Jh. wurde, veranlasst durch die weltweite Expansion des Kapitalismus, daraus ›I‹ abgeleitet. Obwohl von Marx in dieser Intention nicht verwendet, ist kaum ein Begriff enger mit der Entwicklung des Marxismus im 20. Jh. verbunden – zum einen wegen des engen Zusammenhangs zwischen schrankenloser Kapitalakkumulation und modernem I, zum anderen aufgrund des Einflusses Lenins und des Leninismus. Eine erste Welle marxistischer Theoriebildung über Entstehung, Wesen und Zukunft des I fiel in die Zeit um den Ersten Weltkrieg. In ihr ging es vorrangig um die Erklärung des kolonialen Expansionsdrangs und der Rivalität zwischen den Großmächten, seit den 1930er Jahren zentral auch um das Verhältnis von I und Faschismus. Nach 1945, mit Beginn des Kalten Krieges, trat der innerkapitalistische Bezug gegenüber der Systemkonfrontation zurück; ›I‹ wurde zum System- und Lagerbegriff im Gegensatz zum Staatssozialismus. Der Vietnam-Krieg bewirkte eine zweite Welle der Theoriebildung, in der die Beherrschung und Ausbeutung der Peripherien (›Dritte Welt‹) durch die USA und ihre Verbündeten, die ›Erste Welt‹, als Gegensatz zwischen reichen und armen Ländern thematisiert wurden. Zu Beginn des 21. Jh. entwickelt sich eine dritte Welle marxistischer I-Theorien, die sich mit einem global agierenden Kapitalismus und seinem ›Imperium‹ im klassischen Wortsinn auseinandersetzen.
Nichtmarxistische Studien suchten auf unterschiedliche Art die kapitalismustheoretisch fundierten marxistischen Erklärungen zurückzuweisen, vorzugsweise indem sie den I als rein politisches Phänomen oder als Rückfall in Formen vorkapitalistischer Expansion behandeln. So bestimmt etwa Hans J. Morgenthau I als »eine Politik«, »die beabsichtigt, den Status quo umzustürzen« (1960) – womit nationale Befreiungsbewegungen als ›imperialistisch‹ abgewertet und der Sicherung der us-amerikanischen Vorherrschaft ›Anti-I‹ bescheinigt werden kann. Joseph A. Schumpeter betrachtet den I als irrationalen, atavistischen Rückfall in vorkapitalistische Verhaltensweisen: »der Kapitalismus ist von Natur aus antiimperialistisch« (1919). Dagegen ist für Max Weber »der ›imperialistische‹ Kapitalismus […] von jeher die normale Form der Wirkung kapitalistischer Interessen auf die Politik […], und mit ihr des politischen Expansionsdrangs«: »für absehbare Zeit muss die Prognose zu seinen Gunsten lauten« (WuG). Dies deshalb, weil er »zu allen Zeiten die weitaus größten Gewinnchancen geboten [hat], weit größer, als, normalerweise, der auf friedlichen Austausch mit den Angehörigen anderer politischer Gemeinschaften gerichtete Exportgewerbebetrieb« (…).
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