Brecht-Linie

A: ittidjāh Brecht. – E: Brecht School. – F: Brechtianisme. – R: linija Brecht. – S: línea de Brecht. – C: Bulaixite pai

Gudrun Klatt (I.), Wolfgang Fritz Haug (II.)

HKWM 2, 1995, Spalten 335-358

I. Der Einfluß marxistischen Denkens auf linke Künstler und die Avantgarde-Kunst des 20. Jh. zeigt sich besonders bei dem Stückeschreiber und Theatermann Bertolt Brecht (1898-1956). Seine Art, Theater zu spielen, hat tiefe Spuren in der europäischen wie der außereuropäischen Theatergeschichte hinterlassen. Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und der Revolutionen von 1917-18 ließen ihn die Krise des deutschen Imperialismus erkennen und bestärkten ihn in der Auffassung, daß die Widersprüche und Ungerechtigkeiten der Klassengesellschaft nicht ewig gegeben, sondern änderbar sind. 1926 begann er, Marx (vor allem Das Kapital), Ende der 20er Jahre Lenin zu lesen. Seine Marx-Lektüre diskutierte er mit dem Soziologen Fritz Sternberg und dem Philosophen Karl Korsch. Darüber hinaus versammelte er Gleichgesinnte, »die Mannschaft« (Mittenzwei), um sich, darunter Erwin Piscator, George Grosz, Hanns Eisler, Elisabeth Hauptmann, Slatan Dudow, E. Ottwalt, die die Möglichkeiten und Aufgaben einer neuen Kunst, welche die Veränderbarkeit der Welt zeigt, debattierten und in ihren Werken praktizierten. Ihnen allen war gemeinsam, daß sie nicht nur nach anderen, praktikablen Abbildungen strebten, sondern auch darauf zielten, die Art und Weise der Entgegennahme von Kunst durch das Publikum zu verändern. Neues, durch Marx beeinflußtes philosophisches Denken verband sich ganz unmittelbar mit ästhetischer Innovation.

II. Marxistisches Denken war für Brechts Entwicklung nicht weniger wichtig als Brechts Beitrag für die Entwicklung marxistischen Denkens, »vielleicht der wichtigste im deutschen Sprachraum der Jahre 1930 bis 50« (Haug 1980). Andererseits kann noch 1986 keine Rede davon sein, daß Brecht, »dieser – so unbekannte – Vollblutphilosoph« (Labica 1986), »als marxistischer Theoretiker und Philosoph bereits hinreichend bekannt oder gar in seiner Bedeutung im Kontext der marxistischen Theorie und Philosophie dieses Jahrhunderts anerkannt sei«; jedenfalls hat er in der »Geschichtsschreibung der marxistischen Theorie und Philosophie noch keinen Ort gefunden« (Fahrenbach 1986). An mangelnder Zugänglichkeit der Texte kann das seit der Veröffentlichung des Me-ti 1965 und des Arbeitsjournals 1973 nicht mehr liegen. Beide Schriften machten großen Eindruck auf jüngere Intellektuelle, die sich die darin zum Ausdruck kommende philosophisch-intellektuelle Haltung Brechts zum Vorbild nahmen. Das Erscheinen der 20bändigen Taschenbuchausgabe von 1967 (GW) wirkte unter den Deutschlesenden wie eine Wasserscheide der Rezeption. In der Studentenbewegung fand die Ausgabe, die immer wieder nachgedruckt werden mußte, massenhafte Resonanz, wie die Bewegung in Brechts Werk einen universellen geistigen Horizont. Brecht wurde für diese Generation zum wichtigsten Lehrer marxistischen Denkens.

Alltagsforschung, Antiideologie, Antiphilosophie, Ästhetik, Dialektik, dialektisches Bild, dialektisches Theater, Dummheit, Dummheit in der Musik, eingreifendes Denken, Engagement, episches Theater, Epistemologie, Erbe, Faustus-Debatte, Frankfurter Schule, Gestus, Haltung, Hermeneutik, Ideologiekritik, Kritische Theorie, Materialästhetik, Philosophie der Praxis, Philosophiekritik, philosophisches Volkstheater, Realismus, sozialistischer Realismus, Theater, Tuismus, Umfunktionieren, Verfremdung, Weisheit

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