Formalismus-Kampagnen

A: ḥamalāt aš-šaklānīya. – E: campaigns agaist formalism. – F: campagnes contre le formalisme. – R: kampanii protiv formalizma. – S: campañas contra el formalismo. – C: xingshi zhuyi yundong

Günter Mayer

HKWM 4, 1999, Spalten 619-635

Das polemische Schlagwort F artikulierte in der SU und dem Einflussbereich des sowjetischen ML eine doppelte Abgrenzung: Die erste betraf den »Russischen F«, die zweite, um die es im Folgenden geht, den »F« als Sammelbegriff für unterschiedliche, v.a. avantgardistische Orientierungen künstlerischen Schaffens, die dem parteioffiziell sanktionierten ›sozialistischen Realismus‹ auf irgendeine Weise widersprachen. Kampagnen zur Konformierung der Intelligenz überlagerten sich mit tiefgehenden Divergenzen innerhalb dieser. Selbst Brecht wurde von Lukács des F bezichtigt; und von Brecht stammen die produktivsten Reflexionen zu dieser Auseinandersetzung. Die ›stalinistische‹ Überdeterminierung der Auseinandersetzungen droht im Rückblick den Einsatz der Realismusfrage zu verdecken.

Das Bestreben der Abgrenzung vom F war für die Marxisten der auf die Oktoberrevolution folgenden Jahre – für Politiker, Künstler, Theoretiker – ein zentraler Aspekt der widersprüchlichen Herausbildung, Formierung und Verteidigung einer der geschichtlich »aufsteigenden« Arbeiterklasse entsprechenden Kunst, die sich von der der »niedergehenden« Bourgeoisie prinzipiell unterscheiden sollte. Sie war auf eine neue Qualität des Realismus gerichtet.

Wie solcher Realismus künstlerisch zu machen und theoretisch zu begreifen sei, war immer wieder Gegenstand z.T. heftiger Auseinandersetzungen. In ihrem Mittelpunkt standen: die Weltanschauung des Künstlers, seine Klassenposition, die Relation von Kunst und gesellschaftlichem Fortschritt, die Erkenntnis-, Bildungs- und Erziehungsfunktion der Kunst. Von den Künstlern wurde eine die Realität in ihrer revolutionären Entwicklung abbildende Kunst erwartet, welche die Arbeiterklasse nicht als leidende, sondern als eine den historischen Fortschritt erkämpfende Klasse darstellt: Optimistisch, traditionsbewusst, volksverbunden – Realismus galt hier nicht als historischer Stilbegriff, sondern als allgemeine, auf das Gegenwartsschaffen anwendbare »künstlerische Methode«. Dies hatte Konsequenzen für die Beurteilung des Naturalismus und besonders der Avantgarden. Die verschiedenen Erscheinungsformen des Neuen wurden als störend bekämpft und schließlich unterdrückt.

Abbild, Ästhetik, ästhetische Theorie, Brecht-Linie, Dogmatismus, Dummheit in der Musik, Entstalinisierung, Erbe, Expressionismus-Debatte, Faustus-Debatte, Form, Formalismus (russischer), Futurismus, Kalter Krieg, Klassenbewusstsein, Konservatismus, Kosmopolitismus (moderner), Kunstverhältnisse, Literaturverhältnisse, Lukács-Schule, Materialästhetik, Moderne, Montage, Parteilichkeit, Polemik, Proletkult, Propaganda, Realismus, sozialistischer Realismus, Sozialismus in einem Land, Tradition, Volksfeinde, Volksfront, Volkstümlichkeit, Vulgärmarxismus, Vulgärmaterialismus, Wahrheit, Weltanschauung, Widerspiegelung, Zensur

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