Feudalismus-Debatte
A: an-niqāš ḥaul al-iqṭā‛īya. – E: debate on feudalism. – F: débat sur le féodalisme. – R: debaty o feodalizme. – S: debate sobre el feudalismo. – C: fengjian zhidu taolun
Bernhard Töpfer
HKWM 4, 1999, Spalten 378-390
In der SU wurde Ende der 1930er Jahre das auf Engels zurückgedeutete 5-Stadien-Schema, das unter Ausklammerung der asiatischen Produktionsweise den weltgeschichtlichen Ablauf in Urgesellschaft, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalgesellschaft, Kapitalismus und Sozialismus/Kommunismus einteilte (vgl. Ursprung; ebenso – jedoch mit Thematisierung einiger Elemente der asiatischen Produktionsweise – AD), allgemein verbindlich. Man erkannte zwar an, dass sich nicht in allen Regionen der Welt die Sklaverei als dominierende Produktionsweise durchgesetzt hatte, aber um so deutlicher zeichnete sich die Tendenz ab, dem F eine möglichst weite Verbreitung zuzuschreiben und seine Rolle in der Vorbereitung der kapitalistischen Produktionsweise zu unterstreichen. Die damit gegebene geschichtliche Bedeutung des F wurde in der SU zusätzlich dadurch gesteigert, dass, wie schon Lenins Hinweise auf die »Epoche der Leibeigenschaft« und das System der »Fronwirtschaft« deutlich machten (LW 3), die Feudalepoche den größten Teil der russischen Geschichte – von der Staatsbildung bis zur Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 – umfasste.
Das stärkere Hervortreten der Staaten der ›Dritten Welt‹ nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu einer Intensivierung der Diskussion über die Bedeutung des F im Rahmen der weltgeschichtlichen Entwicklung, nicht zuletzt weil in diesen Staaten bis zu deren Selbständigkeit als ›feudal‹ charakterisierte gesellschaftliche Verhältnisse ein wesentliches Gewicht behielten. Beispielsweise wurde in der chinesischen Geschichtswissenschaft der Umbruch von 1949 in Anlehnung an bereits in den 1920er Jahren von kommunistischer Seite formulierten Konzeptionen als antifeudale Revolution gewertet (Dirlik 1985).
Gleichzeitig war man in der SU bestrebt, das 5-Stadien-Schema als universalgeschichtliches Entwicklungsmuster allgemein durchzusetzen und regionale Unterschiede auf ein Minimum zu reduzieren: Auf eine weit verbreitete Feudalgesellschaft und auf das kapitalistische Weltsystem sollte durchgängig und gesetzmäßig der Sozialismus nach sowjetischem Vorbild folgen. Allerdings trugen das wachsende Selbstbewusstsein asiatischer und afrikanischer Staaten und eine gewisse Auflockerung starrer dogmatischer Positionen in der SU seit Mitte der 1950er Jahre dazu bei, dass das zunächst absolut dominierende lineare Entwicklungsschema in der einen oder anderen Weise modifiziert wurde. Auch die damals einsetzende breitere Kenntnisnahme der Gr von Marx mit den Ausführungen über die asiatische Produktionsweise verstärkte Zweifel an der Position, dass alle vorkapitalistischen Klassengesellschaften unter Sklaverei oder F einzuordnen seien. In asiatischen und afrikanischen Staaten war die Bereitschaft, den Begriff ›asiatische Produktionsweise‹ zu rezipieren, begrenzt, da dieser Begriff mit der Vorstellung dauerhafter Stagnation verbunden war. Dazu kam das Bestreben, die historische Entwicklung nicht durchweg einem aus der europäischen Geschichte abgeleiteten Entwicklungsmodell anzupassen und Eigentümlichkeiten der eigenen Geschichte stärker zu betonen. So lehnte es der indische Historiker Harbans Mukhia (1981) ab, für die Geschichte Indiens die Begriffe »asiatische Produktionsweise« und »F« zu verwenden, und verwies auf eine Vielzahl vorkapitalistischer Formationen. Auch Perry Anderson, der die Berücksichtigung der staatlichen Ordnung für die Bestimmung der vorkapitalistischen Produktionsweisen unterstrich, wandte sich dagegen, alle Gesellschaften zwischen der Stammesgesellschaft und dem Kapitalismus entweder der Sklaverei oder dem F zuzuordnen; es sei vielmehr davon auszugehen, dass es vor dem Kapitalismus viele Produktionsweisen gegeben habe (…).
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