Freizeit
A: al-farāġ. – E: leisure. – F: temps libre. – R: svobodnoe vremja. – S: tiempo libre. – C: xiuxian
Dieter Kramer
HKWM 4, 1999, Spalten 967-979
Indem Lohnarbeit die abhängig Tätigen für einen großen, aber fixierten Teil ihrer Zeit bindet, ergeben sich jenseits von Regeneration und Reproduktionsarbeit Freiräume, deren Umfang und Füllung gesellschaftlich umkämpft sind. F wird daher sowohl im Kontext von Interessen und Forderungen der Arbeitenden als auch im Rahmen kultur- und ideologiekritischer Erwägungen marxistisch relevant. Während F einerseits als Freiraum eingefordert wird, unterliegt sie andererseits dem Verdacht, als Ersatz für umfassende Freiheit die Konformität Unterprivilegierter zu gewährleisten. Im Hintergrund stehen nicht allein indirekt wirkende Interessen herrschender Schichten an einer ruhiggestellten und arbeitswilligen Bevölkerung, sondern auch direkte Profitinteressen einer F-Industrie, die spätestens im Postfordismus zu einer der umsatzstärksten Industrien expandiert. Da die bei all dem zugrundeliegende Trennung von Arbeitszeit und F ein kapitalistisches Spezifikum darstellt, liegt es nahe, begriffliche Alternativen zu ihr zu erschließen.
F, obwohl bereits 1823 bei dem Pädagogen Friedrich Fröbel als »Muße Zeit« zum ersten Mal belegt, taucht in den Wörterbüchern der deutschen Sprache relativ spät auf: Bei Grimm fehlt der Begriff noch. Marx und Engels kannten nur »freie Zeit« als »disponible Zeit«. Erst in der kirchlichen Bildungs- und Jugendarbeit des frühen 20. Jh. wird »F« als Begriff für einen organisiert und in Gemeinschaft verbrachten Zeitblock außerhalb der Ausbildungs- und Berufstätigkeit verwendet.
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