Dogmatismus

A: ‛aqā'idīya, al-djumūd al-‛aqā’idī. – E: dogmatism. – F: dogmatisme. – R: dogmatizm. – S: dogmatismo. – C: jiaotiao zhuyi

Christian Löser

HKWM 2, 1995, Spalten 802-809

Dogma ist ein »verbindlicher, anerkennend zu befolgender Glaubenssatz«, D ein »starres Festhalten an Dogmen«, eine »unkritische, metaphysische, auf vermeintlich unumstößlichen Lehrsätzen beruhende Denkweise«; im 18. Jh. wird der Ausdruck Dogma ins Deutsche aufgenommen (Etymol Wb, I, 1989).

Für Marx und Engels wird die Auseinandersetzung mit D ein Aspekt ihres ideologiekritischen Ansatzes. In wissenschaftstheoretischer Hinsicht wird sowohl mit einer axiomatisch-deduktiven, von ersten Grundsätzen, Prinzipien (Dogmen) ausgehenden Wissensform gebrochen als auch ein Empirismus verworfen, der Wirklichkeit nur als »Sammlung toter Fakta« (DI) wahrnimmt. Wissenschaftliche Abstraktionen werden als »allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse […], einer unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung« (Manifest) gefaßt.

In einem Brief an den Junghegelianer Arnold Ruge vom September 1843 formuliert Marx sein Programm »eingreifenden Denkens« (Brecht) als »rücksichtslose Kritik alles Bestehenden« (…). Das bedeutet Destruktion eines jeglichen D: »Ich bin […] nicht dafür, daß wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. Wir müssen den Dogmatikern nachzuhelfen suchen, daß sie ihre Sätze sich klarmachen.« (…) So wird der Kommunismus (Cabet, Dézamy, Weitling) als eine dogmatische Abstraktion charakterisiert: Er ist »selbst nur eine aparte, von seinem Gegensatz, dem Privatwesen, infizierte Erscheinung des humanistischen Prinzips« (…). Die Kritik selbst wird undogmatisch, ist es doch der »Vorzug der neuen Richtung, daß wir nicht dogmatisch die Welt antizipieren, sondern erst aus der Kritik der alten Welt die neue finden wollen« (…). Zugleich zeichnet sich in bestimmter Hinsicht der Bruch mit Philosophie ab: »Bisher hatten die Philosophen die Auflösung aller Rätsel in ihrem Pulte liegen, und die dumme exoterische Welt hatte nur das Maul aufzusperren, damit die gebratenen Tauben der absoluten Wissenschaft in den Mund flogen.« (…) Die Kritik des D als Kritik wirklicher Verhältnisse bricht mit dem Projekt, Metaphysik als Wissenschaft zu begründen. Zugleich befinden sich Marx und Engels in der Tradition der Metaphysikkritik von Kant und Hegel.

Anerkennung, Anwendung, Denkform, Dummheit, eingreifendes Denken, Empirie/Theorie, Gesetz (soziales), Glasnost, Ideologiekritik, Kommunismus, Kritik, Marxismus-Leninismus, Metaphysik, Opportunismus, Orthodoxie, Perestrojka, Philosophie, Revisionismus, Stalinismus, Theorie, Wahrheit

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