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- | A: | + | A: tahṭir. – E: catharsis. – F: catharsis. – R: katarsis. – S: catarsis. – C: kataxisi, jinghua 卡塔西斯, 净化 |
- | tahṭir. – E: catharsis. – F: catharsis. – R: katarsis. – S: | + | |
- | catarsis. – C: kataxisi, jinghua 卡塔西斯, | + | |
- | 净化 | + | |
- | Peter | + | Peter Thomas |
- | Thomas | + | |
- | HKWM | + | HKWM 7/I, 2008, Spalten 495-504 |
- | 7/I, 2008, Spalten 495-504 | + | |
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K‹ geht zurück auf gr. καθαρσις von καθαίρω (ab-, wegwaschen, abspülen; befreien, sühnen). Der Stamm ist unklar. »Eine annehmbare [[e:Etymologie]] fehlt.« (Frisk, I, 752) Die lat. Entsprechung ist //purgatio// (Reinigung, Rechtfertigung; von //purus// – verwandt mit πῦς, Feuer – rein, sich gleichsam abstoßend von //pus,// Eiter), daher dann //purgatorium// (Fegefeuer) mit dem komplementären //purgamentum,// gr. καθαρμα, für das Herausgesäuberte (Schmutz, Unrat; Auswurf) und //purgamen// mit dem polaren Doppelsinn, Unrat und Sühnungsmittel, also Befleckung und Reinigung in Einem zu bezeichnen. Der Term ›K‹ verweist vor aller ästhetischen [[b:Bedeutung]] in der Poetik des Aristoteles auf eine »Reinigung [...] in eigentl. u. übertragenem Sinn« (Benseler-Kaegi, //Gr. Wb.//), vom alltäglichen Akt des Sich-Waschens, bis zu dessen metonymischer Ausdehnung auf rituelle ›Waschungen‹ nach einer ›Befleckung‹ oder einem ›Frevel‹ wie »unerlaubter Betretung eines heiligen Orts« (Stichw. καθαρμός, ebd.; vgl. Dodds 1951). | K‹ geht zurück auf gr. καθαρσις von καθαίρω (ab-, wegwaschen, abspülen; befreien, sühnen). Der Stamm ist unklar. »Eine annehmbare [[e:Etymologie]] fehlt.« (Frisk, I, 752) Die lat. Entsprechung ist //purgatio// (Reinigung, Rechtfertigung; von //purus// – verwandt mit πῦς, Feuer – rein, sich gleichsam abstoßend von //pus,// Eiter), daher dann //purgatorium// (Fegefeuer) mit dem komplementären //purgamentum,// gr. καθαρμα, für das Herausgesäuberte (Schmutz, Unrat; Auswurf) und //purgamen// mit dem polaren Doppelsinn, Unrat und Sühnungsmittel, also Befleckung und Reinigung in Einem zu bezeichnen. Der Term ›K‹ verweist vor aller ästhetischen [[b:Bedeutung]] in der Poetik des Aristoteles auf eine »Reinigung [...] in eigentl. u. übertragenem Sinn« (Benseler-Kaegi, //Gr. Wb.//), vom alltäglichen Akt des Sich-Waschens, bis zu dessen metonymischer Ausdehnung auf rituelle ›Waschungen‹ nach einer ›Befleckung‹ oder einem ›Frevel‹ wie »unerlaubter Betretung eines heiligen Orts« (Stichw. καθαρμός, ebd.; vgl. Dodds 1951). | ||
- | Wie für alle »wichtigen [[k:Kategorie]]n der [[a:Ästhetik]]« gilt für die K, dass sie »nicht aus der Kunst ins Leben, sondern aus dem Leben in die Kunst« gekommen ist (Lukács 1963/1981). George Thomson, wie vor ihm bereits Jacob Bernays (1857), hat sie auf die magisch-medizinischen Heilpraxen zurückgeführt, in denen es um die »Austreibung der Krankheit zwecks [[e:Erneuerung]] der Lebenskräfte« geht (1941/1979). Das im antiken Athen im Kontext der Ausbildung der [[d:Demokratie]] geprägte Theater mit seiner kathartischen [[f:Funktion]] lässt sich als Abkömmling sozialintegrativer Riten begreifen. Wo die Klassengegensätze das [[g:Gemeinwesen]] zu zersetzen drohen, bedarf es einer rituellen Versöhnung, die das Unglück nicht verleugnet, jedoch die Aufgabe hat, es als »//conditio humana// einzuschärfen – indem es als eines vorgestellt wird, das alle betreffen kann, ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Stellung, macht es noch »die Allerelendesten geneigt, sich für glücklich zu halten« (Lessing, //Hamburgische Dramaturgie,// 78. Stück). Bertolt Brecht hingegen wird sich die Frage stellen, was »an die Stelle von Furcht und Mitleid gesetzt« werden kann, »des [[k:klassisch]]en Zwiegespanns zur Herbeiführung der aristotelischen K« (//Über experimentelles Theater,// 1939/40). »War es möglich, etwa anstelle der Furcht vor dem Schicksal die Wissensbegierde zu setzen, anstelle des Mitleids die Hilfsbereitschaft?« (...) Antonio Gramsci weist dem [[b:Begriff]] eine entscheidende hegemonietheoretische Bedeutung zu: um eine gesellschaftlich führende Rolle erlangen zu können, muss das [[e:ethisch-politisch]]e Projekt einer Gruppe oder Klasse von korporatistischen Gruppeninteressen gereinigt und in eine [[f:Form]] gebracht werden, die einen zumindest partiell klassenübergreifenden [[k:Konsens]] findet. | + | Wie für alle »wichtigen [[k:Kategorie|Kategorien]] der [[a:Ästhetik]]« gilt für die K, dass sie »nicht aus der Kunst ins Leben, sondern aus dem Leben in die [[k:Kunst]]« gekommen ist (Lukács 1963/1981). George Thomson, wie vor ihm bereits Jacob Bernays (1857), hat sie auf die magisch-medizinischen Heilpraxen zurückgeführt, in denen es um die »Austreibung der Krankheit zwecks Erneuerung der Lebenskräfte« geht (1941/1979). Das im antiken Athen im Kontext der Ausbildung der [[d:Demokratie]] geprägte Theater mit seiner kathartischen Funktion lässt sich als Abkömmling sozialintegrativer Riten begreifen. Wo die Klassengegensätze das [[g:Gemeinwesen]] zu zersetzen drohen, bedarf es einer rituellen Versöhnung, die das Unglück nicht verleugnet, jedoch die Aufgabe hat, es als »//conditio humana// einzuschärfen – indem es als eines vorgestellt wird, das alle betreffen kann, ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Stellung, macht es noch »die Allerelendesten geneigt, sich für glücklich zu halten« (Lessing, //Hamburgische Dramaturgie,// 78. Stück). Bertolt Brecht hingegen wird sich die Frage stellen, was »an die Stelle von [[a:Angst/Furcht|Furcht]] und <!--[-->[[m:Mitleid|Mitleid]]<!--]--> gesetzt« werden kann, »des klassischen Zwiegespanns zur Herbeiführung der aristotelischen K« (//Über experimentelles Theater,// 1939/40). »War es möglich, etwa anstelle der Furcht vor dem Schicksal die Wissensbegierde zu setzen, anstelle des Mitleids die Hilfsbereitschaft?« (...) Antonio Gramsci weist dem Begriff eine entscheidende [[h:Hegemonie|hegemonie]]theoretische Bedeutung zu: um eine gesellschaftlich führende Rolle erlangen zu können, muss das [[e:ethisch-politisch|ethisch-politische]] Projekt einer Gruppe oder Klasse von korporatistischen Gruppeninteressen gereinigt und in eine Form gebracht werden, die einen zumindest partiell klassenübergreifenden [[k:Konsens]] findet. |