Indeterminismus

A: al-lāḥatmīya. – E: indeterminism. – F: indéterminisme. – R: indeterminizm. – S: indeterminismo. – C: fēijuédìnglùn 非决定论

Kamil Uludag

HKWM 6/II, 2004, Spalten 883-894

Das I-Theorem der Quantenmechanik, auch Unschärfe- oder Unbestimmtheitsrelation genannt, hat seit seiner Formulierung durch Werner Heisenberg 1927 viele Kontroversen über die Beschaffenheit der physikalischen Welt und – in problematischer Übertragung – über menschliche Freiheit hervorgerufen. Es besagt, dass die Messgrößenpaare, die in der klassischen Physik jeweils zur vollständigen Beschreibung der Dynamik eines Körpers erfordert sind, nicht beliebig genau gleichzeitig messbar sind: Die Messung einer Variablen ändert gerade die andere. »Bis Heisenberg hatte man angenommen, die Irrtümer hinsichtlich unabhängiger Variablen seien voneinander unabhängig. Jede Variable bot für sich genommen die Möglichkeit zu einer immer präziseren Analyse; der Experimentator glaubte sich stets in der Lage, die Variablen zu isolieren und die individuelle Analyse zu vervollkommnen. Er glaubte an eine abstrakte Erfahrung, in der die Messung nur ein einziges Hindernis kannte: die Unzulänglichkeit der Messinstrumente. Mit Heisenbergs Prinzip der Ungewissheit kommt es nun zu einer objektiven Korrelation der Irrtümer.« (Bachelard 1934) ›I‹ bedeutet damit die Nicht-Ableitbarkeit der Zukunft aus der Vergangenheit, was Inkongruenz der Dynamik zwischen Bedingung und Bedingtem sowie irreduzible Eigendynamik des letzteren voraussetzt. (Von diesem Begriff des immanenten I ist der vollständige I – also allseitiger Zufall, Wunder und Ähnliches – abzugrenzen, die das deterministische Geschehen unerklärlich von außen beeinflussen.) Da in der Ideologie immer danach gestrebt wird, Herrschaft in die vermeintlich ungeschichtliche Sprache der Natur zu übersetzen, können umgekehrt Transpositionen naturwissenschaftlicher Theorien in Philosophie in die De/Legitimierung von Herrschaft eingehen. Das I-Theorem korrespondiert aber auch mit einer spezifisch geschichtsmaterialistischen Unschärferelation, wie Marx sie in ThF 1 umrissen hat.

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