Interpretation

A: at-tafsīr. – E: interpretation. – F: interprétation. – R: interpretacija. – S: interpretación. – C: jiěshì 解释

Fredric Jameson (MH) (I.), Peter Jehle (II.)

HKWM 6/II, 2004, Spalten 1465-1483

I. Wort und Sache sind alt, so alt wie die Philologie, so alt wie die Kommentare zu profanen und heiligen Texten, so alt wie das Versprechen esoterischer Weisheiten, die Wahrheiten über die hinter der Wirklichkeit versteckten Wesenheiten freizulegen. Solch unvordenkliche Operationen sind sogleich soziologisch auf die Trennung von Hand- und Kopfarbeit zu beziehen, die Alfred Sohn-Rethel bis zu den Ursprüngen tauschvermittelter Produktion zurückverfolgt hat (1970 u. 1971). Diese geschichtliche Einsicht erinnert uns daran, dass jede Diskussion von ›I‹ stets von einer Soziologie der Intellektuellen begleitet werden muss.

Das Verhältnis der I zum Marxismus kommt in der ebenso lapidaren wie dramatischen Bemerkung von Marx zum Ausdruck: »alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen« (K III). Damit tauchen zwei zu untersuchende Linien auf: 1. Der Inhalt von I selbst: Welches ist das Wesen der Dinge hinter der Erscheinungsform, was kann oder sollte Wissenschaft uns lehren, welches sind die Symptome der Erscheinungsform, die uns zur Aufdeckung des Wesens führen können? 2. Die I der I: Warum fallen Wirklichkeit und Erscheinungsform nicht zusammen? Was trennt sie? Wie wird die ideologische Erscheinungsform dieser oder jener Erscheinung, dieser oder jener ›méconnaissance‹ (Verkennen), aufrechterhalten? Was ist die Funktion einer ideologischen Erscheinungsform?

II. Alle Menschen sind Interpreten, könnte man in Anlehnung an Gramsci sagen. Aber nicht allen Menschen kommt in den durch Klassentrennung, Arbeitsteilung und staatliche Herrschaft organisierten Gesellschaften die Funktion von Interpreten zu, verstanden als professionelle Vermittler von Sinn, die einem nahelegen, das Gesollte freiwillig zu wollen. I ist eine Grundfunktion der Orientierung in der Welt und zugleich eine Herrschaftstechnik par excellence.

Ästhetik, Bedeutung, Brecht-Linie, Diskursanalyse, Entfremdungsdiskussion, Erscheinung/Erscheinungsform, Feuerbach-Thesen, Ganzes, Geist, Geistesgeschichte, Hermeneutik, Historismus, Idealismus/Materialismus, Ideologe, Ideologiekritik, Ideologietheorie, Illusion, Imaginäres, Intellektuelle, Kunst, Kunstverhältnisse, Kunstwerk, Literaturkritik, Literaturverhältnisse, Metapher, nouvelle critique, Popularliteratur, Postmoderne, Poststrukturalismus, Roman, Semiotik, Sinn, sozialistischer Realismus, symptomale Lektüre, Text, Totalität, Wesen/Erscheinung, Widerspiegelung

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