Geschlechterverhältnisse
A: al-‛alāqāt baina al-ǧinsain. – E: gender relations. – F: rapports de sexes. – R: polovye/géndernye otnošenija. – S: relaciones de los sexos. – C: xingbie qingkuang 性别 倩况
Frigga Haug
HKWM 5, 2001, Spalten 493-531
G‹ ist als Wort in vielen Bereichen geläufig, doch kaum je begrifflich scharf gefasst. Zugleich mit der Diskussion unterschiedlicher Auffassungen ist daher die begriffliche Klärung von ›G‹ voranzubringen. Der Begriff soll tauglich sein, die Einspannung der Geschlechter in die gesellschaftlichen Gesamtverhältnisse kritisch zu untersuchen. Er setzt voraus, was Resultat der zu untersuchenden Verhältnisse ist: die Existenz von ›Geschlechtern‹ im Sinne der je historisch vorfindlichen Männer und Frauen. Die Komplementarität bei der Fortpflanzung ist die natürliche Basis, auf der im historischen Prozess sozial geformt wird, was als ›natürlich‹ zu gelten hat. In dieser Weise kommen die Geschlechter als Ungleiche aus dem [Gesellschaftsprozess, wird ihre Nicht-Gleichheit zur Grundlage weiterer Überformungen und werden G fundamentale Regelungsverhältnisse in allen Gesellschaftsformationen. Kein Bereich kann sinnvoll untersucht werden, ohne die Weise, wie G formen und geformt werden, mit zu erforschen. Sieht man – wie traditionell üblich – davon ab, setzt sich in der Regel die spontane Abbildung aller Verhältnisse als männliche durch. Dagegen zu opponieren und die Erforschung der ›vergessenen Frauen‹ in die Wissenschaften hineinzuzwingen, ist Verdienst des Feminismus des letzten Drittels des 20. Jh. Freilich wird dabei häufig im Ansatz der Blick verstellt durch die Phänomenologie der Männer und Frauen, wie sie als Effekt von G in Beziehung zueinander auftreten, was die Analyse auf Zwischenmenschliches zieht, als sei dies aus sich selbst heraus begründbar. Im Deutschen ist dies v.a. deutlich, wenn G in den Singular rückt: das Geschlechterverhältnis, wie dies in fast allen Arbeiten geschieht. (Von den 145 einschlägigen Titeln, die einer Internet-Recherche zufolge in den Jahren 1994-2000 in deutscher Sprache erschienen sind, benutzen nur vier den Begriff im Plural. Im Angelsächsischen ist ausschließlich der Pluralbegriff gebräuchlich, dafür wird »gender« nur im Singular verwendet.) Die Einzahl mag angemessen sein, wenn es um den Proporz von Männern und Frauen in ausgewählten Bereichen geht. Wer sie im weiteren Sinn gebraucht, tut sich in der Folge schwer, eine unterstellte Festigkeit dessen, was Geschlechter sind, zu unterlaufen. Um den Begriff so zu fassen, dass er dem Beweglich-Veränderlichen seines Gegenstands Rechnung tragen kann, ist der Plural angemessen. Im umfassendsten Sinn sind G wie Produktionsverhältnisse vielschichtige Praxisverhältnisse. Ihre Analyse nimmt sowohl die Formierung der Akteure als auch die Reproduktion des gesellschaftlichen Ganzen in den Blick.
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