logische Methode
A: manhaǧ al-manṭiq. – E: logical method. – F: méthode logique. – R: logičeskij metod. – S: método lógico. – C: luóji fāngfǎ 逻辑方法
Wolfgang Fritz Haug
HKWM 8/II, 2015, Spalten 1269-1298
Die marxsche Methode, die Friedrich Engels 1859 als »lM« bezeichnet und von der er sagt, sie stehe »an Bedeutung kaum der materialistischen Grundanschauung nach« (13/474), rückt v.a. in Momenten der Krise und der Reorientierungs- oder Neugründungsversuche im Marxismus immer wieder ins Zentrum der Diskussion. So erklärt etwa Georg Lukács in der auf die Krise der Sozialdemokratie antwortenden und durch die Oktoberrevolution 1917 eingeleiteten kommunistischen Neugründungsphase des politischen Marxismus in der überschießenden Emphase des frischgebackenen Marxisten: Selbst wenn »die Entwicklung der Wissenschaft alle Behauptungen von Marx als Irrtümer erweisen sollte, könnten wir diese Kritik […] ohne Widerspruch annehmen und würden trotzdem Marxisten bleiben, solange wir die Anhänger der marxschen Methode sind« (1919, W 2, 61f). Lukács füllt dieses Zauberwort, das dem »orthodoxen Marxismus« die unerschütterliche Grundlage geben soll, mit dem Postulat »bedingungsloser Vorherrschaft der Totalität« (67), dem er im Blick auf Lenin und Trotzki, die sich »wenig um die sogenannten ›Tatsachen‹« gekümmert hätten, eine dezisionistische Wende gibt: »Denn die Entscheidung steht vor der Tatsache.« (68) Das gleicht, im Modus der Begeisterung, dem Bild, das unter Marx-Gegnern verbreitet ist.
Marx selbst legt verwirrende Spuren. Eindeutig ist, dass er seine Behandlungsweise der politischen Ökonomie niemals als logisch bezeichnet, sondern auf ihrem dialektischen Charakter besteht, den er in der Regel verdichtet, »jede gewordne Form im Flusse der Bewegung« aufzufassen (23/28). Widersprüchlich liest es sich, wenn er Hegel einerseits dafür rühmt, die »allgemeinen Bewegungsformen« der Dialektik »zuerst in umfassender und bewusster Weise dargestellt« zu haben, andererseits seine eigene dialektische Methode als »von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil« (27) bezeichnet. Lukács identifiziert zu Beginn der 1920er Jahre die marxsche Dialektik noch mit der hegelschen. Später wird ihm klar, »dass Marx im Namen der konkreten seinshaften Eigenart der gesellschaftlichen Gebilde ihre konkret-seinshafte (ontologische) Untersuchung fordert« (Ontologie, I, W 13, 561). Lukács lehnt daher »Hegels Methode, solche Zusammenhänge aufgrund logischer Schemata darzustellen«, ab (ebd.). So auch Ernst Bloch, was ihn nicht hindert, Hegels »lM als lebendiges Mitgehen des Vernunftwegs« zu würdigen (1952, 162).
Nach dem Zusammenbruch des sowjetisch geprägten europäischen Staatssozialismus und der Diskreditierung des ML hat sich eine »Neue Kapital-Lektüre« geltend gemacht, die mit dem Vorsatz auftritt, »ein für alle Mal allen Versuchen einer dogmatisierenden Re-Primitivisierung des Marxismus die Grundlagen zu entziehen« (Hoff u.a. 2006, 33f). Sie behauptet, die Frage nach der marxschen Methode sei »inzwischen eindeutig zugunsten der logischen Lesart entschieden« (Kirchhoff/Reutlinger 2006, 200). In der Tat ist die internationale Akzeptanz der Rede von der marxschen lM beträchtlich. Die Mehrdeutigkeit der Worte ›Logik‹ und ›logisch‹ macht es möglich, dass sich unterm Schirm ›lM‹ gegensätzliche Strömungen sammeln. Epigonaler Strukturalismus und Ausläufer der sowjetischen Philosophie treffen sich hier mit Abkömmlingen der Kritischen Theorie, Hegelianer mit Antihegelianern, Engels-Anhänger mit Engels-Gegnern. Was dieses zerklüftete Feld eint, ist die augenfällige Tatsache, dass Das Kapital von Marx kein wirtschaftsgeschichtliches Werk ist. Aber was ist es dann, und wie verfährt sein Autor stattdessen? Hier gehen die Meinungen auseinander. Der Nachdruck, mit dem die Rede von der marxschen ›lM‹ verbreitet wird, steht »im umgekehrten Verhältnis zur Analyse und epistemologischen Durcharbeitung ihres Gehalts« (Haug 2013a, 32).
Trotz seiner widersprüchlichen Zusammensetzung lassen sich einige Probleme des Methodendiskurses der »logizistischen Schule« (Fineschi 2008, 23) verallgemeinern. Vom Ansatz her tendiert er zur Eliminierung des Praxisbezugs zugunsten eines ›kapitallogischen‹ Determinismus. Die marxsche Theorieproduktion unterwirft er einer restaurativen Hermeneutik: die Fortschritte, die Marx zwischen 1857 (Einleitung zu den Gr) und Anfang der 1880er Jahre (Randglossen) gemacht hat – Schritte, die ihn weiter wegführten von Hegels spekulativer Dialektik –, gelten hier als popularisierende Rückschritte. Die von Marx im Zuge der Rekonstruktion der Genesis der Geldform herausgearbeiteten Realvermittlungen werden zu bloßen Denkfiguren entwirklicht, seine Warentheorie des Geldes in eine Geldtheorie der Ware verkehrt und seiner Arbeitswertlehre die ›ontologische‹ Relevanz abgesprochen. Nicht zuletzt blockiert die pauschale Verdrängung dessen, was als »Traditions-« und »Arbeiterbewegungsmarxismus« (Heinrich 2004, 52, Fn. 11, u.ö.) verächtlich gemacht wird, die historisch-kritische Durcharbeitung des theoretischen Erbes.
Insgesamt verdeckt die alte und neue Rede von der ›lM‹ die für die marxistische Kapitalismustheorie grundlegende Aufgabe, an der marxschen Arbeitsweise ein nüchternes, ebenso realitäts- wie praxistaugliches Verständnis der dialektischen Methode von Marx zu entwickeln, von der dieser sagen konnte, dass sie »sich durch nichts imponieren lässt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist« (23/28).
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