nationale Befreiung
A: taḥarrur waṭanī. – E: national liberation. – F: libération nationale. – R: nacional’noe osvoboždenie. – S: liberación nacional. – C: mínzú jiěfàng 民族解放
Reinhart Kössler
HKWM 9/II, 2024, Spalten 1845-1864
Die Französische Revolution markiert nicht nur den Ursprung der modernen Nation und zugleich eine wesentliche Etappe in der Herausbildung des Sozialismus, sondern sie wurde durch die Revolution auf Haiti auch zum ersten Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit der Mehrzahl der Kolonien in Lateinamerika, dem freilich die große Welle formaler Kolonisierung in Afrika und Asien im 19. Jh. folgte. Die Begründer des Marxismus und ihre Nachfolger erkannten erst allmählich die praktisch-politische und theoretische Bedeutung dieser Prozesse für die internationale Arbeiterbewegung. Das gilt bes. für die Wahrnehmung der Kolonisierten und ihrer Widerstandsbewegungen als potenzielle Bündnispartner im 20. Jh. im Zusammenhang mit Veränderungen der globalen politischen Konstellation, die auch in der Welle der formalen Entkolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg zum Ausdruck kamen. Auch wenn staatliche Unabhängigkeit häufig mit dem Fortbestehen neokolonialer Abhängigkeit einherging, verband sich mit nationalen Befreiungsbewegungen die Hoffnung auf einen radikaleren Bruch, die Eröffnung einer sozialistischen Perspektive.
Die Verknüpfung von nB bzw. nationaler Selbstbestimmung mit der Perspektive einer sozialistischen Revolution hat sich in marxistischen Denktraditionen erst langsam, in Auseinandersetzung mit den durch Kolonialismus und Neokolonialismus bewirkten sozialen Prozessen und Kämpfen herausgebildet. Damit haben sich auch die Vorstellungen von den Zielen revolutionärer Umwälzungen und vom Sozialismus verändert. Dabei ging es auch um die Bestimmung und Konstitution von Bündnisbeziehungen mit nicht-sozialistischen antikolonialen Akteuren, die nach und nach ins Blickfeld der Theorie- und Strategiebildung rückten. Die inhärenten Spannungen und Widersprüche wurden damit keineswegs überwunden; sie treten auch in der Praxis von Befreiungsbewegungen an der Macht zumal nach den Umbrüchen von 1989/91 hervor.
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