Hoffnung

A: al-‛amal. – E: hope. – F: espoir. – R: nadežda. – S: esperanza. – C: xiwang 希望

Jan Rehmann

HKWM 6/I, 2004, Spalten 450-469

Die romanischen Bezeichnungen gehen auf das lateinische spes/sperare zurück, an dem man noch die Doppelbedeutung einer positiven, freudigen Erwartung und eines neutralen Bezugs auf Zukünftiges ablesen kann. Noch Vergil verwendet sperare fürs Erwarten eines Schmerzes (sperare dolorem; Äneis IV). Die griechischen Äquivalente ἐÏλπις ἐλιπίζειν bedeuten ursprünglich v.a. »allgemein und formal den Zukunftsbezug« (Link 1974), dem die neutralen Begriffe des Erwartens, Vermutens entsprechen. Spuren davon finden sich noch im modernen Sprachgebrauch, z.B. im spanischen esperar (warten). Das grimmsche Wörterbuch berichtet noch 1877 von einer allgemeinen Bedeutung von »etwas erwarten, warten« – z.B. in der Jägersprache (»nach dem Fuchs hoffen«) (…).

Für ein Verständnis der philosophischen Kontroversen um die H ist die Diskrepanz zwischen antiker und moderner Verwendung von Bedeutung. In der Sprachgeschichte schwingen zwei andere inzwischen verlorengegangene Bedeutungsstränge mit, nämlich zum einen der im Erwarten mitenthaltene Aspekt des Wartens, der vom Standpunkt einer aktiv eingreifenden Praxis als passive Haltung erscheint, zum anderen der v.a. in den antiken Verwendungen vorrangige Sinn eines Für-wahrscheinlich-Haltens. Die H konnte daher sowohl in die Nähe der Untätigkeit als auch der δοÏξα (der bloßen Meinung) und der illusio gerückt werden.

Der terminologischen Uneinheitlichkeit scheint eine Mehrdeutigkeit in der Sache zugrunde zu liegen. H ist »die menschlichste aller Gemütsbewegungen« (Bloch), die zugleich in Ermangelung von Verwirklichungsmöglichkeiten leicht zur »leeren H«, zum Antrieb von Selbsttäuschung wird. »Man hofft, solange man lebt«, sagt der Volksmund, aber auch: »Hoffen und Harren macht manchen zum Narren«. Was die Menschen im Inneren lebendig und zukunftsfähig hält, ist zugleich das Anthropologikum, an dem sich der Umschlag in Furcht, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit vollzieht. Eine H, der der realistische Boden entzogen ist, bereitet den Boden sowohl für Nihilismus und Ressentiment als auch für unterschiedliche Formen eschatologischer Verschiebung und religiöser Überhöhung. In Gesellschaften, in denen Emanzipation und Selbstverwirklichung sich vornehmlich auf Kosten anderer, davon Ausgeschlossener vollzieht, ist die H selbst von sozialen Gegensätzen durchzogen: Was den einen die H auf Sieg oder sozialen Aufstieg, ist den anderen die Aussicht auf Untergang oder Elend. In diesem antagonistischen Bedeutungsfeld hat auch das Denken über die H die unterschiedlichsten Positionen bezogen.

Angst/Furcht, Antizipation, Befreiung, bestimmte Negation, Charisma/charismatische Führung, Christentum und Marxismus, christlich-marxistischer Dialog, Elemente der neuen Gesellschaft, Emanzipation, Ende der Geschichte, Enthusiasmus, Enttäuschung, Entwurf, Erkenntnis, Erlösung, Ewigkeit, Fatalismus, Freude, Gemeinde (christliche), Glauben, Gleichgültigkeit, Glück, Gott, Hoffnungslosigkeit, Illusion, Imaginäres, Jenseits/Diesseits, Judenfeindschaft, Judenfrage, Kritik, Liebe, materialistische Bibellektüre, Messianismus, Möglichkeit, Optimismus/Pessimismus, Phantasie, Prophetie, Religion, Religionskritik, rettende Kritik, Sinn, Tod, Traum, Utopie, Verantwortung, Vergessen/Erinnern, Vernunft, Verzweiflung

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