Film
A: film. – E: film. – F: film. – R: fil’m. – S: filme, película. – C: dianying
Joachim Paech
HKWM 4, 1999, Spalten 485-497
Marxistische Definitionen des F haben es mit einem kulturellen Phänomen zu tun, das am Ende des 19. Jh. entstanden und geprägt ist durch die Form seiner technisch-apparativen Basiskonstruktion, seiner kollektiven und kapitalintensiven Produktion ›als Ware‹ und seiner Rezeption durch ein (urbanes) Massenpublikum. Die technische und ästhetische Herkunft des F aus der Fotografie stellt ihn von Anfang an in den Zusammenhang der ›realistischen‹ Wiedergabe einer äußeren Wirklichkeit mit der Fähigkeit, die »sichtbare – oder potenziell sichtbare – physische Realität nicht nur wiederzugeben, sondern auch zu enthüllen« (Kracauer 1960). Das über die Einzelfotografie hinausgehende projizierte Bewegungsbild und die montageförmige Re-Konstruktion seiner Abbildungen machen den F zu einem potenziell künstlerischen, aber auch ideologisch wirksamen Medium, das Aspekte der Wahrnehmung mit denen des Ausdrucks zugunsten narrativer Konstruktionen von Bewusstsein (und Bewusstseinsinhalten) verbindet. Als synästhetisches Kunstwerk ist der F popularisierender Vermittler älterer Künste (besonders der Literatur, aber auch der Malerei, Architektur, Musik) und dokumentarisches Gedächtnis der politischen, sozialen, kulturellen Geschichte. Der (Kino-)F ist (neben dem Radio) zum einflussreichsten Massenmedium der ersten Hälfte des 20. Jh. geworden, bis er vom Fernsehen und schließlich vom Videogerät aus dem Kino in die Wohnung geholt wird.
»Die F-Kunst entstand im Zeitalter des Imperialismus. Der F ist mit allen Merkmalen dieser Epoche belastet. In seinen Inhalten und in seinen Formen zeigen sich wie in einem Spiegel die Zeiten, in denen er entsteht und sich entwickelt. Die Abnehmer des F sind die Volksmassen, die das Kapital für sich zu erobern und gefügig zu machen versucht. Das Volk sieht im F seine Volkskunst.« (Toeplitz 1972) Das Kainsmal der kapitalistischen Geburt hat dem F von seinen Anfängen an (Edison, USA, 1894; Brüder Lumière, Frankreich, 1895; Brüder Skladanowsky, Deutschland, 1895; R.W. Paul, England, 1896 etc.) eine widersprüchliche Position innerhalb marxistischer Kulturtheorie und -praxis zugewiesen, die auch in der Historiographie des F zum Ausdruck kommt (vgl. sozioökonomisch argumentierende historische Darstellungen des F u.a. von Sadoul 1946f, Bächlin 1945, Toeplitz 1972f, Prokop 1974; zur Frühgeschichte des amerikanischen F Janet Staiger 1980).
➫ Abbild, Ästhetik, Avantgarde, Dispositiv, Fernsehen, Fiktion, Formalismus-Kampagnen, Formalismus (russischer), Fotomontage, Futurismus, Gegenkultur, Hegemonialapparat, Ideologietheorie, Illusion, Kulturindustrie, Kulturstudien (Cultural Studies), Manipulation, Massenkultur, Medienimperialismus, Montage, Radio, Realismus, Semiotik, sozialistischer Realismus, Subkultur, Verblendungszusammenhang, Warenästhetik