Nahostkonflikt

A: an-nizāʽ fī aš-šarq al-’ausaṭ. – E: Middle East conflict. – F: conflit du Proche-Orient/Moyen-Orient. – R: bližnevostočnyj konflikt. – S: conflicto de Oriente Próximo. – C: Zhōngdōng chōngtū 中东冲突

Werner Ruf (I.), Norman Paech (II.)

HKWM 9/II, 2024, Spalten 1745-1776

I. Der »Nahe Osten« – in chinesischer oder indischer Terminologie großteils: »Westasien« – erscheint als Epizentrum von Konflikten. Nicht nur wegen des israelisch-palästinensischen Konflikts gilt die Region als Brutstätte eines globalen Terrorismus, der nicht nur die Lage dort, sondern auch die übrige Welt bedroht. Zu Beginn des 21. Jh. führten die ›Interventionen‹ der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und im Irak zu einer weiteren Destabilisierung der Region, die so immer mehr zu einem Krisenherd vor der Haustür Europas wurde. Wesentlich dazu beigetragen hat auch der Ausgang der Volksaufstände des sog. Arabischen Frühlings ab 2010, die großteils in einer reaktionären Restauration endeten. Libyen wurde zum Kampffeld bewaffneter Milizen. Im Jemen begannen Saudi-Arabien und andere Despotien am Golf einen teils innerarabischen, teils gegen den Einfluss des Iran gerichteten Krieg. In Syrien hat der als Bürgerkrieg begonnene Konflikt internationale Dimensionen angenommen, mit wechselnden Kräfteverhältnissen zwischen den beteiligten Ländern USA, Iran, Russland und Türkei.

Im Hintergrund des komplexen Felds des N steht der Kampf um den Reichtum der Region an fossilen Energieträgern, die – entgegen allen ökologischen Notwendigkeiten – weiterhin das Fundament des industriellen Wachstums bilden. Die Kontrolle dieser Rohstoffe und ihrer Transportwege steht im Zentrum der Interessen der großen Mächte dieser Welt, die seit 1989 dabei ist, sich in ein wenig stabiles, multipolares System mit neuen geopolitischen Polen zu transformieren.

Es gilt, die im 19. Jh. begonnene imperialistische Inbesitznahme durch europäische Mächte exemplarisch nachzuzeichnen, die die ökonomische und politische Entwicklung sowie die Eingliederung der Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas in die Weltwirtschaft bis ins 21. Jh. und auch die Gegensätze innerhalb der Region und damit den N wesentlich prägt.

II. Palästinakonflikt. – Innerhalb des weiten territorialen Rahmens, den der Begriff N umfassen kann, spielt der Palästinakonflikt eine zentrale Rolle. Denn er weist nach Ursache, Ursprung und Entwicklung gegenüber den anderen Konflikten der Region mit seinen weitreichenden Verzweigungen und wechselseitigen Beeinflussungen besondere Merkmale auf. Einen wesentlichen Aspekt umreißt Israels Verteidigungsminister Mosche Dajan einige Monate vor dem Oktoberkrieg bzw. Jom-Kippur-Krieg von 1973 treffend mit den Worten: »Alle unsere Siedlungen sind auf den Trümmern arabischer Dörfer erbaut, und wir reißen nicht nur ihre Mauern nieder, sondern versuchen, auch ihre Namen aus den Geschichtsbüchern auszuradieren. Sie haben also sehr gute Gründe, gegen uns zu kämpfen, und wenn ich ein Araber wäre, wäre ich wohl ein Kämpfer für El Fatah.« (Zit.n. Fried 1973, 46) Dieser Siedlungsprozess, der sich auch im 21. Jh. fortsetzt, ist mit einer Vielzahl politischer und ökonomischer Interessengegensätze verschiedener Herkunft verknüpft, sodass es schwerfällt, eine Grundlinie zu entdecken, die den N als Ganzes erklären und eine politische Lösungsmöglichkeit aufzeigen könnte. Eine wichtige Voraussetzung ist die zionistische Ideologie, die von Beginn an den Anspruch vorantreibt, arabisches Land in jüdisches zu verwandeln.

Die Beurteilung des Palästinakonflikts führt – auch außerhalb des Nahen Ostens – immer wieder zu Kontroversen. Das erschwert bes. in Deutschland den Umgang mit diesem Konflikt, zu dessen Hauptstreitpunkten seit der Staatsgründung Israels 1948 die Staatsgrenzen, die Besatzung, das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge, der Landraub durch den Bau jüdischer Siedlungen auf palästinensischem Gebiet, der Status von Jerusalem und der Zugang zu Trinkwasser zählen. Als mögliche Auswege werden unterschiedliche Varianten von Ein-Staat- und Zwei-Staaten-Lösungen vorgeschlagen, die auf je verschiedene Weise ein friedliches Neben- oder Miteinander von jüdischer und arabischer Bevölkerung zu erlauben versprechen.

Anerkennung, Antifaschismus, Antikolonialismus, Antisemitismus, Arabischer Sozialismus, Aufstand, Auschwitz, Befreiung, Emanzipation, Emigration, Endlösung, Enteignung, Entkolonisierung, Entwicklungsländer, Faschismus, Finanzkapital, Frieden, Fundamentalismus, Genozid, Geopolitik, Gewalt, Grünes Buch, Guerilla, Herrschaft, Holokaust, Identität, Imperialismus, innerer Kolonialismus, internationale Beziehungen, islamische Revolution, islamischer Fundamentalismus, Judenfeindschaft, Judenfrage, Kalter Krieg, Kibbuz, Kolonialismus, Kreditkrise, Konflikttheorien, Krieg, Krieg der Kulturen, Kriegsverbrechen, Krieg und Frieden, Landnahme, Menschenrechte, Migration, Modernisierung, multikulturelle Frage, multikulturelle Politiken, Nation, national/nationalistisch, nationale Befreiung, nationale Frage, nationale Minderheiten, nationale Spezifik, Nationalstaat, Nazismus, Neoimperialismus, Neokolonialismus, Nord-Süd-Konflikt, Okzidentalismus, Orientalismus, osmanische Gesellschaftsstruktur, Peripherie/Zentrum, postkolonialer Sozialismus, Postkolonialismus, Pogrom, Rassismus, Schuldenkrise, Shoa, Sozialimperialismus, Staatsterrorismus, Stadtguerilla, Terrorismus, ungleiche Entwicklung, ungleicher Tausch, Unrecht, Unterdrückung, Unterwerfung, ursprüngliche Akkumulation, Versöhnung, Volk, Völkermord, Völkerrecht, Weltkrieg, Widerstand, Widerstandsrecht, Wiedergutmachung, Zerstörung, Zionismus

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n/nahostkonflikt.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/04 19:03 von christian     Nach oben
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