Judenfeindschaft
A: kurh al-yahūd. – E: judeophobia. – F: judéophobie. – R: vraždebnost’ po otnošeniju k evrejam. – S: judeofobia. – C: díshì yóutàirén yùndòng 敌视犹太人运动
Mario Kessler
HKWM 6/II, 2004, Spalten 1672-1684
J wird in Teilen der wissenschaftlichen Literatur als Vorform des politischen Antisemitismus gefasst, dessen Entstehung auf die 1870er Jahre gelegt wird. Mit Vorbehalt unterscheiden z.B. Herbert A. Strauss und Norbert Kampe (1985) »zwischen einer im christlich-abendländischen Kulturkreis weit verbreiteten ›Abneigung‹ gegen Juden, einer aus verschiedensten Gründen die Vorstufe der ›Abneigung‹ übersteigenden ›J‹ (›Judenhass‹) und schließlich dem modernen politisch-weltanschaulichen ›Antisemitismus‹«. Andere, auch in der populären Literatur verbreitete Lesarten bezeichnen jede Art von »opposition to, hatred of, or agitation against Jews« als Antisemitismus (Webster’s New International Dictionary, 1961). Auch die in der SU in den 1920er Jahren verbreitete Enzyklopädie setzt »Antisemitismus, feindselige Haltung gegen Juden«, mit »Judophobie« gleich (Bolshaja Sov. Entsikl., 1926).
Weitgehende Einigkeit besteht in der Forschung darüber, dass die latente J der westlichen Welt und des östlich-christlichen Kulturkreises letzten Endes religiösen Ursprunges ist und durch Alltags- wie Hochkultur vermittelt wurde (und z.T. noch wird). Seit dem Jüdischen Krieg, der 70 u.Z. mit der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels durch die Römer endete, waren Teile des jüdischen Volkes aus Palästina ausgewandert. Im weiteren Verlauf wurden die Juden im christlichen ›Abendland‹ zur Minderheit par excellence. Ob in der Antike eine spezielle J existiert habe oder als Bestandteil allgemein xenophober Einstellungen anzusehen sei, ist in der Forschung umstritten (vgl. Schmitthenner 1981). […]
Das Aufkommen politischer Massenparteien war auch mit einer Wendung der bisher vorwiegend mit religiösen Deutungsmustern operierenden J verbunden: Seit den 1880er Jahren benutzten die sich nun mehr als Antisemiten bezeichnenden Gegner der jüdischen Emanzipation rassistisch aufgeladene Denkmuster und zielten auf die Gründung politischer Massenparteien ab, mittels derer die Gleichberechtigung der Juden abgewehrt werden sollte. Diese »kulturelle Transformation des Fin de siècle« (Payne 1995) stellte die Weichen für Frühformen der faschistischen Bewegung, die im Pariser Dreyfus-Prozess (1894-98) und weiteren antisemitischen Schauprozessen erstmals eine massenwirksame Propagandatätigkeit entfalteten (vgl. Lindemann 1991; Fuchs/Fuchs 1994). […] Die Marxisten haben die J als Vorform des politischen Antisemitismus erst spät intensiv erforscht, was in neueren marxistischen Arbeiten kritisch diskutiert wird (etwa Traverso 1990; Jacobs 1992).
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