Basis-Ästhetik

A: ‛ilm al-djamāl al-asāsī. – E: basis aesthetics. – F: esthétique de base. – R: bazisnaja ėstetika. – S: estética de base. – C: jichu meixue

Günter Mayer

HKWM 2, 1995, Spalten 50-65

Dieser Begriff signalisiert zunächst, was in der Rede vom »weiten Gegenstand« der Ä meistens gemeint ist: nicht so sehr die Reflexion über den alltäglichen Kunstgebrauch als die Analyse der außerkünstlerischen Bereiche ästhetischer Aneignung, die kaum überschaubare Vielfalt des »Ästhetischen«. Es sind dies die historisch sich wandelnden Formen ästhetisch-wertender Gestaltung und sinnlich-sinnhafter Gestaltwahrnehmung in bezug auf die Menschen selbst, auf die gegenständlichen und räumlichen Lebensbedingungen ihrer alltäglichen Tätigkeit.

In der frühen marxistischen Ä wurden diese Bereiche kaum beachtet. Die gelegentlichen Bemerkungen von Marx über die edlen Metalle als Material von Pracht, Schmuck und Glanz (Gr) oder über den Gebrauchswert des Diamanten, »ästhetisch oder mechanisch; am Busen der Larette oder in der Hand des Glasschleifers« (…), ergaben keine B-Ä. Allerdings findet sich beim jungen Marx ein Ansatz dazu. Im Zusammenhang seiner Reflexionen über die entfremdete Arbeit und über die unterschiedliche Art, wie Tier und Mensch »formieren«, findet sich die vielzitierte Bemerkung, daß der Mensch im Unterschied zum Tier »nach dem Maß jeder species zu produzieren weiß und überall das inhärente Maß dem Gegenstand anzulegen weiß«, mit der Schlußfolgerung: »der Mensch formiert daher auch nach den Gesetzen der Schönheit« (…). Hier ist eine marxistische Ä angelegt, »die ihren Gegenstand nicht auf Kunst reduziert, sondern zugleich in der praktischen Lebenstätigkeit und in den materiellen Lebensbedingungen der Menschen die Funktionen ästhetischer Faktoren zu erfassen sucht« (Kühne 1981).

Die Entfaltung dieses Ansatzes unterblieb zunächst. Das änderte sich in dem Maße, als diese Bereiche mit dem Übergang des Kapitalismus in die Phase des Imperialismus und mit der Formierung sozialistischer Gesellschaften zu sozialen Problem- und Entscheidungsfeldern geworden waren: in der frühen Sowjetunion mit der radikalen Wendung von der Kunst-Ä zur »Produktionskunst« (Arwatow 1972), aber auch in der internationalen Bewegung neuen Bauens und neuer Gestaltung (Bauhaus; De Stijl; Taut 1929; El Lissitzky 1930), und dann nach dem Zweiten Weltkrieg in den sozialistischen Ländern – bzw. als Folge von 1968 auch als Gegenstand kritischer Analysen seitens marxistisch orientierter Ästhetiker in den kapitalistischen Ländern, etwa im Bereich dessen, was »Warenästhetik« genannt worden ist (Haug 1971; 1980).

Aneignung, Arbeiterkultur, Architektur, Ästhetik, ästhetische Abstraktion, ästhetische Theorie, Autonomie der Kunst, Bedeutung, Befriedigung, Bild, bildende Kunst, Brecht-Linie, Film, Genuss, Gestalt, Idealisierung, Kitsch, Kultur, Kulturarbeit, kultureller Materialismus, Kulturindustrie, Massenkultur, Materialästhetik, musikalisches Material, Popularkunst, Proletkult, Realismus, Schönheit, Semiotik, Sinn, Sinnlichkeit, Warenästhetik, Wertform, Widerstandsästhetik, Zeichen

artikel_per_email.jpg

 
InkriT Spende/Donate     Kontakt und Impressum: Berliner Institut für kritische Theorie e.V., c/o Tuguntke, Rotdornweg 7, 12205 Berlin
b/basis-aesthetik.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/03 21:54 von christian     Nach oben
Recent changes RSS feed Powered by PHP Valid XHTML 1.0 Valid CSS Driven by DokuWiki Design by Chirripó