Hindutva
A: al-ḥaraka al-hindūsīya al-gaumīya. – E: Hindutva. – F: Hindoutva. – R: Chindutva. – S: Hindutva. – C: yindu jiaotu de texing 印度教徒的特性
Vinay Lal (JR)
HKWM 6/I, 2004, Spalten 258-266
H wird gewöhnlich als Politisierung des Hinduismus oder als Variante des religiösen Fundamentalismus gekennzeichnet. Im indischen Kontext gilt sie als Auswuchs eines Hindu-Kommunalismus bzw. der Auffassung, die indische Geschichte und Zivilisation sei nur mit den Kategorien eines Hinduismus angemessen zu verstehen, der als kollektive Identität im Gegensatz zu einer ebenso monolithischen Konzeption des Islam konstruiert ist. Aber wenn man H in erster Linie als eine Mischung von Religion und Politik versteht, müsste man Mohandas (Mahatma) Gandhi, den vielleicht bedeutendsten Hinduisten der modernen Geschichte Indiens, ebenfalls als ihren Vertreter ansehen. Sein orthodox-hinduistischer Mörder, Nathuram Godse, rechtfertigte seine Tat damit, dass die Hindus unter Gandhis Regierung auf dem Altar der Gewaltlosigkeit geopfert würden. Und gerade Gandhi hatte in seiner Autobiographie gemeint, dass diejenigen, die Politik und Religion für unvereinbar halten, weder etwas von Politik noch von Religion verstünden.
Die Bestimmung der H als Variante des Fundamentalismus schafft wiederum eigene Probleme: H-Vertreter bestehen z.B. keineswegs durchgängig auf einer buchstäblichen Lektüre der Hindutexte und streben auch nicht die Rückkehr zu irgendeinem vorgestellten Goldenen Zeitalter an. Während man islamischen Fundamentalisten (ob zu Recht oder zu Unrecht) nachsagt, sie hätten Schwierigkeiten, Islam und Moderne zu versöhnen, und konfrontierten die vermeintliche Einfachheit und den Puritanismus der klassischen Periode des Islam mit der aktuellen Vorherrschaft von ›Habgier‹ und ›gottlosem Intellektualismus‹, sind die Vertreter der H dezidiert machtorientiert und realpolitisch, bestens ausgerüstet mit den neuesten Technologien und Wissenschaften, und orientieren offen auf einen starken indischen Nationalstaat, der den Willen der Hindumehrheit gegen die Minderheiten durchsetzt (Lal 2003). Bei den H-Anhängern findet man die begeistertsten Unterstützer der Atomenergie, und es ist keine Überraschung, dass Indien sich kurz nach der Machtübernahme der Hindu-Rechten zur Nuklearmacht erklärt hat. Einige definieren H einfach als Ideologie einer Hindu-Vormachtstellung, andere als Form eines kulturellen Nationalismus.
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