Arbeitsmarkt
A: sūq al-ʿamal. – E: labour market. – F: marché du travail. – R: rynok truda. – S: mercado de trabajo. – C: laodong shichang
Michael Krätke
HKWM 1, 1994, Spalten 525-545
Die klassischen Ökonomen, Zeitgenossen der Institutionalisierung eines »freien A«, waren sich seiner unerhörten Neuheit bewußt. Es war ihnen geläufig, daß die »Ware Arbeit« sich von anderen Waren unterscheidet – »besonders durch ihre vergängliche Natur, durch die Unmöglichkeit, sie zu akkumulieren, und dadurch, daß die Zufuhr nicht mit derselben Leichtigkeit vermehrt oder vermindert werden kann als bei andren Produkten«, wie Marx 1847 die Thesen von John Wade (History of the Middle and Working Classes, 1835) zusammenfaßt (…). Sie bemühten sich bereits um den Nachweis, daß »Arbeit« ebenso problemlos gekauft wie verkauft werden könne und der A nicht anders, vor allem nicht schlechter funktioniere als andere Märkte für »Produktionsfaktoren« (wie der Kapitalmarkt und der Grundstücksmarkt). Dennoch erhielt sich bis hin zu einigen ›Klassikern der Neoklassik‹ (wie Alfred Marshall) ein Bewußtsein von der Eigenart des A, selbst von den spezifischen Nachteilen, mit denen sich selbst vermarktende Arbeiter zu rechnen haben. Daher blieb die Lehre vom A lange offen für »institutionalistische« Ökonomen, bis zum Siegeszug der Humankapitaltheorie. Die heute herrschende ökonomische Lehre vom A fällt auseinander in eine mikroökonomische, kryptonormative Lehre vom Gleichgewichtspreis für beliebige individuelle Arbeitsleistungen und, unvermittelt daneben, makro-ökonomische Betrachtungen von Ungleichgewichten. In der mikro-ökonomischen Darstellung erscheint jede beliebige Menge Arbeit jederzeit als verkäuflich, vorausgesetzt, der Verkäufer akzeptiert einen Preis, der niedrig genug ist; im makro-ökonomischen Gegenstück wird geradezu ein exogen fixierter Mindestpreis der Arbeit vorausgesetzt (auch wenn beides in der heutigen, post-keynesianischen Ökonomie eher in der Form vielfältiger »Erwartungen« der ökonomischen Agenten bezüglich des Verhaltens anderer Agenten erscheint). Beide Lehrstücke haben es in verschiedenen Varianten nur mit der Mechanik von Marktaggregaten zu tun, die sich, merkwürdig genug, aus strikt individuellen Verhaltensweisen und Entscheidungen ergeben sollen. Dennoch haftet dem A auch in der Lehrbuchökonomie noch ein Hauch von Absonderlichkeit an. Seine Eigenarten stoßen den Ökonomen in Gestalt von »inversen« Verläufen der Arbeitsangebotskurven auf: Steigen die Geldlöhne, so nimmt das Arbeitsangebot keineswegs zu, sinken sie dagegen, wird das Arbeitsangebot rasch ganz erheblich erweitert, was offenkundig nicht zur Annahme universell gültiger »Marktgesetze« paßt. Daneben gibt es weitere Anomalien, mit denen die herrschende Lehre wenig anzufangen weiß: starre Löhne, fixe Lohnstrukturen, unflexible Arbeitskräfte, lokale Monopole, Großorganisationen der Käufer und Verkäufer (Unternehmerverbände und Gewerkschaften); außer natürlich, daß sie diese Phänomene eines vollentwickelten kapitalistischen A für dessen Übel, vor allem für die Arbeitslosigkeit verantwortlich macht. Wäre der A nur ein Markt wie im Lehrbuch, dann gäbe es diese unangenehmen Erscheinungen nicht, lautet der Refrain.
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