A: ḫuṣūṣīya waṭanīya. – E: national specificity. – F: spécificité nationale. – R: nacional’naja specifika. – S: especificidad nacional. – C: mínzú tèzhì 民族特质

Mohamed Moulfi (MK/PJ)

HKWM 9/II, 2024, Spalten 1946-1955

Mit Georges Labica kann man sagen, dass »die durch Marx begründete Wissenschaft kein anderes Objekt als die geschichtlichen Spezifiken hat. […] Das Spezifische bevorzugen […] heißt, das Empirische nicht passförmig machen zu wollen, ihm nicht den Status des Konkreten zu geben und sich nicht entweder der Anarchie der Fakten zu entledigen oder der ›Fatalitäten‹ […]; umgekehrt läuft das Festhalten einzig am Universellen darauf hinaus, das Wirkliche unablässig durch den Filter laufen zu lassen, den man ihm aufsetzt. Einerseits Opportunismus, Spontaneität, […] ›Zufälle‹; andererseits Schematismus, Voluntarismus, die mehr oder weniger passenden ›Modelle‹.« (1974, 61) Die Dialektik von Spezifischem und Universellem hat nicht aufgehört, den Marxismus herauszufordern: ausgehend von Marx’ Beschäftigung mit der Frage, ob Russland einen nichtkapitalistischen Entwicklungsweg einschlagen kann, über Lenin und die Oktoberrevolution, die in einem kapitalistisch zurückgebliebenen Land stattfand und von Antonio Gramsci – in Unkenntnis davon, dass Marx die »historische Unvermeidlichkeit« der Entwicklung zum Kapitalismus »auf die Länder Westeuropas beschränkt« hatte (1. Briefentwurf an W.I.Sassulitsch, 1881, 19/384) – als »Revolution gegen das ›Kapital‹« (1917; Neubert, 31-35) verstanden wurde, bis zu den chinesischen Volkskommunen, Palmiro Togliattis Polyzentrismus und den verschiedenen nationalen Wegen des Eurokommunismus.

Mit der nach 1945 einsetzenden Bewegung gegen den Kolonialismus stellte sich die Frage nach der nationalen Spezifik der einzuschlagenden Entwicklungswege erstmals weltweit. Wird es den sich befreienden Ländern möglich sein, die Entwicklung ihrer Gesellschaften in der Perspektive einer selbstgewählten Berufung zu organisieren? Das galt in den 1970er Jahren etwa noch für Algerien und dessen Option für den nichtkapitalistischen Entwicklungsweg. Die Möglichkeit der »Alternative«, wie Rudolf Bahro (1977) gesagt hätte, erlaubte dem Nationalstaat, sich für eine bestimmte Option zu entscheiden, sich eine Berufung zu geben und eine eigene Zukunft zu antizipieren.

Allgemein lässt sich die Problematik der nationalen Spezifik unter zwei Gesichtspunkten fassen: dem der Gleichzeitigkeit der Gesellschaften, die diese dazu zwingt, das von den entwickeltsten Gesellschaften vorgegebene Niveau zu erreichen; und dem der Ungleichzeitigkeit, die mit der Logik des Einholen-Müssens bricht und einer die Spezifik der Gesellschaft in Rechnung stellenden Entwicklung folgt. Marx spielt auf diese Problematik an, wenn es heißt: »Da es vor allen Dingen darauf ankommt, nicht von den Früchten der Zivilisation, den erworbenen Produktivkräften ausgeschlossen zu sein, so wird es notwendig, die überkommenen Formen, in welchen sie geschaffen worden, zu zerbrechen.« (Elend, 4/140f)

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