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Vertrauen in die Herrscher ist etwas anderes als bewusste, erklärte Zustimmung, sich den Gesetzen zu unterwerfen, die nach Rousseaus Vorstellung vom [[g:Gesellschaftsvertrag]] mindestens einmal einmütig (//consentement unanime//) bestanden haben muss – »denn die [[a:Assoziation]] der Bürger ist die freiwilligste [[h:Handlung]] der Welt«; niemand kann den anderen »ohne seine Einwilligung unterwerfen« (//Vom Gesellschaftsvertrag,// 1762, IV.II; 1989). Zwischen beiden Polen erstreckt sich das Bedeutungsfeld von K, mit charakteristischen Übergängen wie ›Einverständnis‹ oder ›Überzeugung‹, die sich allesamt in aktivem wie passivem Sinn gebrauchen lassen. Das verschafft dem K-Begriff seinen [[i:Ideologietheorie|ideologietheoretisch]] interessanten, doppelten Boden: Was – vorrangig im Modus der [[f:Fiktion]] – die Möglichkeit freier und gleicher Teilhabe an der rechtlich-politischen Grundgestaltung des Gemeinwesen verheißt (eine wichtige Waffe bei der [[e:Emanzipation]] der Bürger von der Feudalherrschaft), findet sich im politischen Alltagsleben der ›liberal-demokratischen‹ Regimes auf kapitalistischer Grundlage als weithin unbefragte subalterne Zustimmung zum politisch-kulturellen Projekt der führenden Kräfte innerhalb eines herrschenden <!--[-->[[m:Macht|Macht]]<!--]-->blocks. | Vertrauen in die Herrscher ist etwas anderes als bewusste, erklärte Zustimmung, sich den Gesetzen zu unterwerfen, die nach Rousseaus Vorstellung vom [[g:Gesellschaftsvertrag]] mindestens einmal einmütig (//consentement unanime//) bestanden haben muss – »denn die [[a:Assoziation]] der Bürger ist die freiwilligste [[h:Handlung]] der Welt«; niemand kann den anderen »ohne seine Einwilligung unterwerfen« (//Vom Gesellschaftsvertrag,// 1762, IV.II; 1989). Zwischen beiden Polen erstreckt sich das Bedeutungsfeld von K, mit charakteristischen Übergängen wie ›Einverständnis‹ oder ›Überzeugung‹, die sich allesamt in aktivem wie passivem Sinn gebrauchen lassen. Das verschafft dem K-Begriff seinen [[i:Ideologietheorie|ideologietheoretisch]] interessanten, doppelten Boden: Was – vorrangig im Modus der [[f:Fiktion]] – die Möglichkeit freier und gleicher Teilhabe an der rechtlich-politischen Grundgestaltung des Gemeinwesen verheißt (eine wichtige Waffe bei der [[e:Emanzipation]] der Bürger von der Feudalherrschaft), findet sich im politischen Alltagsleben der ›liberal-demokratischen‹ Regimes auf kapitalistischer Grundlage als weithin unbefragte subalterne Zustimmung zum politisch-kulturellen Projekt der führenden Kräfte innerhalb eines herrschenden <!--[-->[[m:Macht|Macht]]<!--]-->blocks. | ||
- | Die Funktionsnotwendigkeit des K sollte aber nicht zu dem Fehlschluss verleiten, ihn abstrakt als Gegensatz zum Zwang zu verstehen. Stattdessen geht es darum, das Zusammenwirken von Zwang und K als »dialektisches Verhältnis« (Gramsci, //Gef//) im Rahmen konkreter gesellschaftlicher Formationen zu erfassen. »Die ›normale‹ Ausübung der [[h:Hegemonie]] auf dem klassisch gewordenen Feld des parlamentarischen Regimes zeichnet sich durch eine Kombination von Zwang und K aus, [...] ohne dass der Zwang den K zu sehr überwiegt« (...). Die Fähigkeit, politische [[e:Entscheidung]]en auf K zu gründen, ist in ihrem Bedeutungswechsel zu untersuchen: was der Möglichkeit nach gemeinschaftliche Regelung von gesellschaftlichen Angelegenheiten, ohne Macht in Herrschaft zu verwandeln, anzeigt – die Perspektive horizontal-funktionaler Regulierung des Gemeinwesens –, ist unter Bedingungen der Klassenherrschaft in der durch [[g:Gewalt]] gestützten und diese zugleich begrenzenden Funktion zusammengezogen, die Zustimmung der Subalternen zur Herrschaft zu organisieren. | + | Die Funktionsnotwendigkeit des K sollte aber nicht zu dem Fehlschluss verleiten, ihn abstrakt als Gegensatz zum Zwang zu verstehen. Stattdessen geht es darum, das Zusammenwirken von Zwang und K als »dialektisches Verhältnis« (Gramsci, //Gef//) im Rahmen konkreter gesellschaftlicher Formationen zu erfassen. »Die ›normale‹ Ausübung der [[h:Hegemonie]] auf dem klassisch gewordenen Feld des parlamentarischen Regimes zeichnet sich durch eine Kombination von Zwang und K aus, [...] ohne dass der Zwang den K zu sehr überwiegt« (...). Die Fähigkeit, politische [[e:Entscheidung|Entscheidungen]] auf K zu gründen, ist in ihrem Bedeutungswechsel zu untersuchen: was der Möglichkeit nach gemeinschaftliche Regelung von gesellschaftlichen Angelegenheiten, ohne Macht in Herrschaft zu verwandeln, anzeigt – die Perspektive horizontal-funktionaler Regulierung des Gemeinwesens –, ist unter Bedingungen der Klassenherrschaft in der durch [[g:Gewalt]] gestützten und diese zugleich begrenzenden Funktion zusammengezogen, die Zustimmung der Subalternen zur Herrschaft zu organisieren. |
II. Emanzipatorische Politik zielt auf die Herstellung gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen Entscheidungen, die alle betreffen, ohne Zwangseinwirkungen, also herrschaftsfrei, getroffen werden. Daher gehört K zu den Grundbegriffen einer [[b:Befreiung|Befreiungs]]theorie, die [[d:Demokratie]] »als gesellschaftliche Organisationsform« versteht, »die ausgerichtet ist an der regulativen Idee einer Überwindung von Herrschaftsbeziehungen« (Fisahn 2008). Als empirisch vorgefundene »regulierte Anarchie« (Weber, //WuG//) – ein Begriff, den Christian Sigrist (1971/1994) am Beispiel [[h:herrschaftsfreie Gesellschaft|herrschaftsloser Gesellschaften]] in Afrika ausgearbeitet hat – oder konkret-utopische »regulierte Gesellschaft« (Gramsci, //Gef//) ist die gemeinschaftlich-konsensuale [[k:Kontrolle]] der gesellschaftlichen <!--[-->[[l:Lebensweise, Lebensbedingungen|Lebensbedingungen]]<!--]--> »Ausgangspunkt wie Fluchtpunkt« (Haug 1993) demokratischer Umgestaltung. | II. Emanzipatorische Politik zielt auf die Herstellung gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen Entscheidungen, die alle betreffen, ohne Zwangseinwirkungen, also herrschaftsfrei, getroffen werden. Daher gehört K zu den Grundbegriffen einer [[b:Befreiung|Befreiungs]]theorie, die [[d:Demokratie]] »als gesellschaftliche Organisationsform« versteht, »die ausgerichtet ist an der regulativen Idee einer Überwindung von Herrschaftsbeziehungen« (Fisahn 2008). Als empirisch vorgefundene »regulierte Anarchie« (Weber, //WuG//) – ein Begriff, den Christian Sigrist (1971/1994) am Beispiel [[h:herrschaftsfreie Gesellschaft|herrschaftsloser Gesellschaften]] in Afrika ausgearbeitet hat – oder konkret-utopische »regulierte Gesellschaft« (Gramsci, //Gef//) ist die gemeinschaftlich-konsensuale [[k:Kontrolle]] der gesellschaftlichen <!--[-->[[l:Lebensweise, Lebensbedingungen|Lebensbedingungen]]<!--]--> »Ausgangspunkt wie Fluchtpunkt« (Haug 1993) demokratischer Umgestaltung. |