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i:identifikation [2015/04/05 22:21]
christian
i:identifikation [2024/02/15 20:03] (aktuell)
christian
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 A: at-tamāhi. – E: identification. – F: identification. – R: identifikacija. – S: identificación. – C: jianbie 鉴别 A: at-tamāhi. – E: identification. – F: identification. – R: identifikacija. – S: identificación. – C: jianbie 鉴别
  
-Stuart Hall (I.) (FH), Jane Gaines (II.) (ThB)+Stuart Hall (FH) (I.), Jane Gaines (ThB) (II.)
  
 HKWM 6/I, 2004, Spalten 646-653 HKWM 6/I, 2004, Spalten 646-653
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-I. I ist einer der unklarsten Begriffe, fast so heikel wie der Begriff ›[[i:Identität]]‹, wiewohl diesem trotz aller begrifflicher Schwierigkeiten vorzuziehen. Der Term nimmt Bedeutungen aus diskurstheoretischem wie psychoanalytischem Lager auf, ohne sich auf eins zu beschränken. Das semantische Feld ist komplex und schwer aufzuschlüsseln, es gibt aber bald die Relevanz dieser Forschungsaufgabe zu erkennen: In der Alltagssprache bedeutet I, seine Abstammung kenntlich zu machen, oder verweist auf Eigenschaften, die man mit einer anderen Person oder mit Gruppen teilt; ferner auf die Übereinstimmung mit einem [[i:Ideal]] und den natürlichen Schluss, Solidarität und Bindung auf dieser Grundlage zu etablieren. Im Gegensatz zum ›Naturalismus‹ dieser [[d:Definition]] sieht der [[d:Diskurstheorie|diskurstheoretische]] Ansatz I als Konstruktion, als niemals abgeschlossenen Prozess. I ist nicht determiniert in dem Sinn, dass sie ›gewonnen‹ oder ›verloren‹, festgehalten oder verlassen werden kann. Wenn auch nicht frei von determinierenden Existenzbedingungen, einschließlich der materiellen und symbolischen Ressourcen, ist I letztlich kontextabhängig, in [[k:Kontingenz]]en verstrickt. Wo sie erreicht ist, ist Differenz gleichwohl nicht verschwunden. Die totale Verschmelzung, die I nahelegt, ist eine Vereinnahmungsphantasie. Sigmund Freud spricht in diesem Kontext von »einverleiben« oder »Introjektion« (GW 13; SA XI). I ist ein [[a:Artikulation, Gliederung|Artikulations]]prozess, eine Überdeterminierung, keine Subsumtion. Immer resultiert ein ›Zuviel‹ oder ›Zuwenig‹, eine Überdetermination oder ein <!--[-->[[m:Mangel|Mangel]]<!--]--> – niemals passt es richtig, nie wird es ein [[g:Ganzes]]. Wie alle kennzeichnenden Praxen, ist I dem ›Spiel‹ der //différance //unterworfen, sie gehorcht der Logik des ›Mehr-als-Eins‹. Und weil I als Prozess sich gegen Differenz richtet, erfordert sie Diskursarbeit, das Ziehen und Kenntlichmachen symbolischer Grenzen, die Produktion von ›Grenz-Effekten‹. I braucht das Ausgelassene (left outside), sein konstitutiv Äußeres, um den Prozess zu konsolidieren. Aus seinem psychoanalytischen Gebrauch erhält der Begriff ein reiches semantisches Erbe. Freud spricht von I (»Identifizierung«) als »frühester Äußerung einer Gefühlsbindung an eine andere Person« (…).+I. I ist einer der unklarsten Begriffe, fast so heikel wie der Begriff ›[[i:Identität]]‹, wiewohl diesem trotz aller begrifflicher Schwierigkeiten vorzuziehen. Der Term nimmt Bedeutungen aus diskurstheoretischem wie psychoanalytischem Lager auf, ohne sich auf eins zu beschränken. Das semantische Feld ist komplex und schwer aufzuschlüsseln, es gibt aber bald die Relevanz dieser Forschungsaufgabe zu erkennen: In der Alltagssprache bedeutet I, seine Abstammung kenntlich zu machen, oder verweist auf Eigenschaften, die man mit einer anderen Person oder mit Gruppen teilt; ferner auf die Übereinstimmung mit einem [[i:Ideal]] und den natürlichen Schluss, Solidarität und Bindung auf dieser Grundlage zu etablieren. Im Gegensatz zum ›Naturalismus‹ dieser [[d:Definition]] sieht der [[d:Diskurstheorie|diskurstheoretische]] Ansatz I als Konstruktion, als niemals abgeschlossenen Prozess. I ist nicht determiniert in dem Sinn, dass sie ›gewonnen‹ oder ›verloren‹, festgehalten oder verlassen werden kann. Wenn auch nicht frei von determinierenden Existenzbedingungen, einschließlich der materiellen und symbolischen Ressourcen, ist I letztlich kontextabhängig, in [[k:Kontingenz|Kontingenzen]] verstrickt. Wo sie erreicht ist, ist Differenz gleichwohl nicht verschwunden. Die totale Verschmelzung, die I nahelegt, ist eine Vereinnahmungsphantasie. Sigmund Freud spricht in diesem Kontext von »einverleiben« oder »Introjektion« (GW 13; SA XI). I ist ein [[a:Artikulation, Gliederung|Artikulations]]prozess, eine Überdeterminierung, keine Subsumtion. Immer resultiert ein ›Zuviel‹ oder ›Zuwenig‹, eine Überdetermination oder ein <!--[-->[[m:Mangel|Mangel]]<!--]--> – niemals passt es richtig, nie wird es ein [[g:Ganzes]]. Wie alle kennzeichnenden Praxen, ist I dem ›Spiel‹ der //différance// unterworfen, sie gehorcht der Logik des ›Mehr-als-Eins‹. Und weil I als Prozess sich gegen Differenz richtet, erfordert sie Diskursarbeit, das Ziehen und Kenntlichmachen symbolischer Grenzen, die Produktion von ›Grenz-Effekten‹. I braucht das Ausgelassene (left outside), sein konstitutiv Äußeres, um den Prozess zu konsolidieren. Aus seinem psychoanalytischen Gebrauch erhält der Begriff ein reiches semantisches Erbe. Freud spricht von I (»Identifizierung«) als »frühester Äußerung einer Gefühlsbindung an eine andere Person« (…).
  
 II. Im Begriff der I überkreuzen sich politische und psychologische Fragen mit solchen nach der Rezeption fiktionaler Welten im Buch, [[f:Film]], Computerspiel etc. Auffällig ist die Nähe der alltagssprachlichen Verwendung zur wissenschaftlichen und kritischen Terminologie. ›[[e:Einfühlung]]‹ und ›Nachahmung‹ werden auch von Sigmund Freud (GW II/III, ; SA II) synonym mit I bzw. Identifizierung gebraucht. Obwohl er mit seiner Bestimmung von I nie richtig zufrieden war (Laplanche/Pontalis 1972), hat sich keine andere theoretisch ausgerichtete Bezeichnung herausgebildet. So benutzen Kulturkritik und Psychoanalyse das gleiche Wort, um über eine bestimmte Art der Beziehung zu sprechen, die Menschen sowohl zueinander wie als Leser zu einer Romanfigur oder als Zuschauer zu einer Figur in einem beliebten Film unterhalten. II. Im Begriff der I überkreuzen sich politische und psychologische Fragen mit solchen nach der Rezeption fiktionaler Welten im Buch, [[f:Film]], Computerspiel etc. Auffällig ist die Nähe der alltagssprachlichen Verwendung zur wissenschaftlichen und kritischen Terminologie. ›[[e:Einfühlung]]‹ und ›Nachahmung‹ werden auch von Sigmund Freud (GW II/III, ; SA II) synonym mit I bzw. Identifizierung gebraucht. Obwohl er mit seiner Bestimmung von I nie richtig zufrieden war (Laplanche/Pontalis 1972), hat sich keine andere theoretisch ausgerichtete Bezeichnung herausgebildet. So benutzen Kulturkritik und Psychoanalyse das gleiche Wort, um über eine bestimmte Art der Beziehung zu sprechen, die Menschen sowohl zueinander wie als Leser zu einer Romanfigur oder als Zuschauer zu einer Figur in einem beliebten Film unterhalten.

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i/identifikation.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/15 20:03 von christian     Nach oben
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